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Bismarcks Vermächtnis
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Bismarcks Vermächtnis

von Gtto l^ammann

Wir entnehmen diesen Aufsatz mit Erlaubnis des Ver­fassers und Verlages dem in diesen Tagen erscheinenden Werk von Otto HammannZur Vorgeschichte des Krieges. Erinnerungen aus den Fahren 18971906." (Verlag von Neimar Hvvbing in Berlin, 1918),

anchem geschriebenen und gesprochenen Worte des Fürsten Bismarck ist das Unrecht widerfahren, daß es von der Zeit und d u Um­ständen, in denen er es gebrauchte, losgelöst und als allgemein und fortdauernd gültige Wahrheit angesehen wurde. Da seine ganze Politik den wechselnden Ereignissen und Bedürfnissen ange­paßt war, so können auch seine Aussprüche nur aus den Zusamnum- tzaugen mit den Zwecken und Zielen, denen sie jeweilig dienen sollien, richiig begriffen werden. Wer den wahren Wert seiner staatsmännischen Kunst erk nnen will, darf die Bedingtheit seiner Worte nicht übei sehen, die in Fülle während einer fünfzigjährigen politischen Tätigkeit entstanden, oft genug scheinbare Wider­sprüche untereinander enthalten. Der bleibende Kern ruht in seinen Tciten>)

Was den großen Meister vor allem auszeichnete, war das klare Erkennen der geschichtlichen Gründe für das Müchteverhältnis in Europa, das feinste Emp­finden für die nationalen Schwächen und Kiöfte des deutschen Volkes, und der hellseherische Blick, vereint mit Kühnheit im Ersoffen der Zukunft. In einfachen großen Linien mögen wir uns die Grundgedanken, die sein Werk erfüllen, etwa so vorstellen:

In den vorangegangenen Jahrhunderten hatten die beiden Flügelländer Europas, Nußland im Osten, England im Westen, ihre Macht allmählich immer weiter ausgebreitet, während sich die Grenzen im Zentrum, unter beständigen Kriegen ohne große Eroberungen, bald so bald , so, in geringem Umfang ver­schoben. Wie tue Allianzen unter den Herrschern und Kabinetten wech'elten, so wechselten auch die Siege und die Niederlagen. Unter den blutigen Opfern der Völker und der Verwüstung der von den Kriegen heimgesuchten Gegenden blieben der Läuderbesitz und die Mächteverhältnisse so ziemlich die alten. Als stärkste Macht unter den Rivalen in den innereurvpäischen Kämpfen erwies sich Frank­reich, weil es in sich national geschlossen war und einheitlich regiert wurde. Was es aber etwa an Landstreifen gewann, wurde reichlich aufgewogen durch die Stellungen, die es in anderen Erdteilen, Amerika und Asien, zugunsten Englands verlor. Ahnlich erging es der österreichischen Hausmacht. Nach den Erfolgen

Alle äußere Politik ist eine außerordentlich komplexe Erscheinung: Wer nur Teile in der Hand hat und das geistige Band verschmäht, kann ihrer niemals Herr werden." Hermann Oncken:Das alte und das neue Mitteleuropa"; Gotha 1917, Vorwort XI.

Grenzboten IV 1918 23