Die Lage in Elsaß-Lothringen
bayrisch-preußische Rivalität das entscheidende Wort sprach, «dürfen wir uns^ wahrhaftig nicht Wundern, wenn sich das also erzogene Land jetzt scheinbar' willenlos der internationalen Entscheidung unterwirst, wie das der gestern noch so überaus loyale Herr Ricklin in seiner famosen Reichstagserklärung verkündete. Uostra czulM, iwstra maxiraa oulM. Wir ernten jetzt, Was Wir in jahrzehntelanger Verblendung gesät haben.
Welch eigentümliche Tragik! Dieser Krieg ist, was den deutsch-sranzösi-- schen Waffengang anlangt, ein Streit um Elsaß-Lothringen. Durch Opferung dieses Symboles der 1871 schwer errungenen Reichseinheit hätte ein Konflikt mit Frankreich vermieden oder jederzeit beendigt werden können. Über vier Jahre' ist deutsches Blut in Strömen um ein deutsches Elsaß geflossen, nicht aus Eigensinn des Besitzenden heraus, der keinen Machttitel opfern will, sondern aus einem tiefen und gut gegründeten Gefühl des Rechtes auf dieses in Volkskultur und Volkssprache ganz überwiegend deutsche Land. Aus diesem elementaren Gefühl heraus haben deutsche Staatsmänner bis an die Schwelle der letzten Monate- heran — entgegen vielleicht den Geboten politischer Klugheit — die elsaß-Ioth- ringische Frage als eine rein innerdeutsche bezeichnet und behandelt. Sie gaben damit die Unabgeschlossenheit der bisherigen Lösungsversuche zu, sie erkannten an, daß uns das Reichsland bisher wahrhaftig kein sicherer und dankbarer Gewinn, sondern eine sehr undankbare und drückende Aufgabe gewesen ist. Aber wir empfanden gerade diese Aufgabe als eine, die von der Geschichte an uns, eigens und nur an uns gestellt und nur in Zeiten staatlicher Ohnmacht und Schwäche dem deutschen Volke entglitten fei. Diesen Shmbolcharakter wird Elsaß-Lothringen auch in Zukunft nicht verlieren. Und dos Bewußtsein des Anrechts, das wir aus Elsaß-Lothringen als Aufgabe haben, kann uns auch kein internationales Ereignis wie der kommende Gewaltfriede rauben.
Wäre der Präsident Wilson, der neue arditsi mr-Qäi, tiefer in europäische Verhältnisse eingeweiht, so würde er einsehen, daß eine erzwungene Lösung glatt zugunsten der französischen Revanchconfprüche, diese groteske Verbeugung des freien Amerika vor dem Schatten des absoluten Louis-Quatorze, uns so wenig als endgültig erscheinen kann, wie unsere gegenwärtige Ermattung nach einem beispiellosen Existenzkampf für uns etwas Endgültiges bedeutet., Aber wie sollte Wilson das einsehen, wenn der deutsche Volksstamm selber, dem all diese nutzlosen Opfer gegolten haben, der selber an unserer Seite unendliche Opfer gebracht hat, uns heute in seiner überwiegenden Mehrheit kühl, wenn nicht gehässig gegenübersteht und in Trotz und Verstockung das Trennende augenblicklich so stark, das Verbindende fo unendlich viel schwaches empfindet? Der Elscifser und der Lothringer, sie haben gewiß viel Anlaß, über Mißverstehen ihrer wahren Bedürfnisse, über schwere Behandlungsfehler von deutscher Seite zu klagen. Sie wissen aber' auch ganz genau, wieviel echte und tiefe Liebe zu Land und Leuten ihrer Heimat, wieviel opferwilliger deutscher Idealismus an der Eingliederung der Westmark in den Reichsorganismus gearbeitet, welchen Aufschwung das Land unter deutscher Herrschaft namentlich in wirtschaftlicher Beziehung "genommen hat. Wenn' sie über verwaltungstechnisches und politisches Ungeschick Beschwerde führen, wenn deutsche Selbstkritik — eine Eigenschaft, an der der Deutsche eher Überfluß als Mangel hat — ihnen diese Mißgriffe von unserer Seite sogar willig zugibt, dann wollen auch wir heute offen aussprechen: diese ewig unzufriedenen Grenzstämme, die einer tiefgewurzelten Anlage folgend in jeder 'Suppe zunächst einmal nach dem Haar suchen, die in Frankreich deutsche, in Deutschland französische Opposition großenteils aus reiner Freude am Widerspruch getrieben haben: sie haben wenig Verständnis sür die Schwierigkeit unserer Aufgabe, noch weniger Dankbarkeit für unsere Leistungen im Interesse des Landes von den entsagenden Mühen unserer Beamtenschaft bis zu den unerhörten Blutopfern auf den Vogesenkämmen und jenseits der lothringischen Grenze gezeigt. Es ist bitter, heute feststellen zu müssen: deutsche Truppen oller Stämme'hoben den elsässischen Bruderstamm über vier Fahre vor der Überflutung durch namenlose Kriegsgreuel bewahrt und — dos deutsche Volk hat dafür wenig Dank bei den