^er Zusammenbruch Gesterreichs und unsere Diplomatie
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sehr schlechte Psychologen seien, und -sie haben diesen Vorwurf gewiß nicht nur der übrigen feindlichen Welt nachgesprochen, sondern aus eigenem Erleben geschöpft.
Die Ereignisse haben unterdessen eine bessere Aufklärung geschaffen, als tausend Engelszungen-Prediger es vermöchten. Die Völker sind heute sehr deutliche Tatsachen geworden, und selbst das am beharrlichsten geleugnete Deutschösterreich ist eine Wirklichkeit und verlangt staatliche Anerkennung auch vom Deutschen Reiche. Im Reiche selbst hat ja der Lebensdrang des Volkes über -eine starre und veraltete Staatsraison gesiegt, und es ist ein Zeichen von besonderer Vorbedeutung, daß die Erneuerung der alten nationalen Einheit am eindrucksvollsten von der Sozialdemokratie gefordert wird. Das Volk lernt um und nähert sich jenem tieferen Nationalismus, den nicht nur der Deutschösterreicher, sondern jeder Ausländsdeutsche am Reichsdeutschen vermißt hat. Die salsche politische Richtung des ganzen Volkes, die unsere Diplomaten entschuldigte, ebenso die „Nichteinmischungspolitik", die ihnen im Besonderen gegenüber Österreich-Ungarn die Hände band, ist erledigt. Das System unserer politischen Vertretung aber, das die Krönung jener reichsdeutschen falschen Politik bedeutete, ist einstweilen noch geblieben. Gewiß ist ein so in all seiner Unzulänglichkeit komplizierter technischer Apparat nicht von heute cmf morgen umzustellen. Wir haben zu vieles auf einmal zu erledigen. Jedoch ehe nicht unser Auswärtiges Amt und unsere Auslandsvertretung von Grund auf neu geworden ist, neu in den Methoden, neu in den Männern, ist eine wesentliche Arbeit der neuen Regierung noch ungetan. . , '
Die Klagen, die hier auf dem Gebiete der österreichisch-ungarischen Fragen vorgebracht werden, wiederholen sich auf allen anderen Gebieten und in allen Lagern. Aber wenn auch Diplomaten immer kritisiert werden, so ist doch die Art und der Umfang der Kritik gegen unsere politische Vertretung unerträglich geworden. Sie schadet bereits wieder durch ihre Mertriebenheit, Ällgemeinheit, Bitterkeit und UnVerantwortlichkeit, in die ja jede Kritik hineingerät, wenn sie hoffnungslos scheint. Es wird höchste Zeit, daß man Ernst macht. Man beschuldigt die Militärs, daß sie sich in Politik gemischt haben. Bei den Bedeutenden unter ihnen durchdringt sich Schuld mit Verhängnis. Sie mischten sich nicht nur aus Machtgier ein, sondern deshalb, weil alle politische Hoffnung, die vom Auswärtigen Amt enttäuscht, aller guter Wille, der von ihm beleidigt und zurückgestoßen wurde, bei ihnen Zuflucht suchte. Mag an dieser Hoffnung und diesem guten Willen vieles laienhaft gewesen fein: aus den Wünschen der'„Laien", die zugleich die Bürger sind, kristallisiert sich doch schließlich der politische Wille der Nationen. Nicht aus veralteten Überlieferungen einer Berufskaste, die ängstlich darüber wacht, daß ihre Brahmaneuwissenschaft nicht durch „Unberufene" gestört werde. Dem politischen Willen der Bürger Form zu geben und zur Geltung zu verhelfen: dazu sind die Beamten da. Wie viele der'jetzt in unserer außenpolitischen Arbeit Beschäftigten können nach ihrer Bildung und Erziehung diefe Aufgabe auch nur verstehen?