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Der Zusammenbruch Österreichs und unsere Diplomatie
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Der Zusammenbruch Österreichs und unsere Diplomatie

UN ist es so weit. Was wir, die wir Osterreich kannten, seit Jahren voraussagten, was wir seit Anfang des Krieges befürchteten, ist eingetreten. Deutschland begann, abseits von aller Politik, an der Seite eines nicht mehr lebensfähigen Staates, der längst seinen Schwerpunkt nicht mehr in sich selbst hatte, den Krieg, ohne von diesem Staat und von seinen Völkern mehr zu wissen, als was ihm die amtliche österreichische Wissenschaft zu wissen gönnte. Diese Wissenschaft aber kannte durch den ganzen Krieg hindurch nur ein Ziel: die nationalen Schwierigkeiten der Monarchie nicht nur den Feinden, sondern auch dem Bundesgenossen zu leugnen, nicht nur aus zwingenden politischen Gründen, sondern auch aus jenem Geist der offiziellen schwarzgelben Bureaukratie heraus, der noch ein Erbe aus Metternichs Zeiten bedeutet. Wir hätten den Krieg kaum so begonnen und geführt, wenn unsere Verantwortlichen in den Ämtern und unsere Parteien den Zustand der Monarchie auch nur einigermaßen gekannt hätten. Keinesfalls hätte der verantwortliche Staatsmann vom Krieg zwischen Germanen und Slawen faseln und 'dadurch den österreichischen Slawen ein unersetzliches Agitationsmittel liefern können, wenn nicht die reichsdeutsche Meinung diesen politischeu Dilettantismus geduldet hätte. Die Ahnungslosigkeit der reichsdeutsche« Politik gegenüber Österreich-Ungarn blieb dann während des ganzen Krieges getreulich erhalten. Wir ließen uns ohne Skrupel von eben jener !. u. k. Bureaukratie führen, die einzig und allein durch unsere militärische und wirtschaftliche Hilfe ihr Leben fristete. Wir machten die reichsdeutsche Öffentlich­keit an tschechische Lohalitätskundgebungen glauben, die der unselige Fürst Thun in Prag arrangiert hatte, und beleidigten mit unserer Ahnungslosigkeit das deutsche Volk in Osterreich, aber auch das tschechische, dem wir eine solche Preis­gabe seiner Überzeugung zutrauten. 'Getreulich berichtete W. T. B., was das K. K. Korr.-Bureau, das Werkzeug jener Bureaukratie, dichtete und skandalös blieb die österreichische Berichterstattung des W. T. B. bis zu dem bittern Ende, da der Wiener Pöbel dem Sondersriedenskaiser Karl in der Hofburg zujubelte und W. T. B. die 'ergreifende Szene in 'demselben schönen Stile schilderte, in dem es seinerzeit die Prager Ausbrüche von tschechischem Patriotismus geschildert hat. Wir gingen mit der von den österreichischen Völkern verfluchten k. k. Negierungspraxis vier Jahre lang durch Dick und Dünn. Wir gestatteten nicht, daß die deutschen Zeitungen Dinge druckten, die der österreichischen Regierung nicht genehm waren, indes die Wiener Sensationspresse von Beschimpfungen Deutschlands voll war. So erfuhr zwar das feindliche Ausland durch tschechische Emissäre genau, wie es um die Gesinnung der Nichtdeutschen in Osterreich stand, aber die reichsdeutsche Öffentlichkeit blieb ahnungslos auch auf diesem wichtig-

Grenzboten IV 1918 13