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Vom "Großblock" zur "Mehrheit"
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Berufswahl und Begabtenschule

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Persönlichkeiten auch später wieder wechseln, der Bann ist jedenfalls gebrochen, es wird nicht wieder Gewohnheitsrecht werden, daß die deutsche Reichsregierung aus Preußen stammen muß. Man darf vielleicht hoffen, daß der Reichsgedanke noch Fortschritte macht: nicht dadurch grade, daß die Demokratie im ganzen ziemlich unitarisch gestimmt ist kräftiges Eigenleben der größeren Bundes­staaten ist ein politisches Gut, das dem Reiche erhalten bleiben möge! sondern mehr dadurch, daß durch den Parlamentarismus alle deutschen Stämme gleich­mäßiger Gelegenheit haben werden, führende Köpfe in die Reichsvegierung zu bringen, während früher diese Stellen meist nur durch deu preußischen Staats­dienst zugänglich waren.

Den Konservativen wird der Zusammenbruch ihres Einflusses erst im Lause der kommenden Jahre stärker fühlbar werden. Sie werden dann bald den Reichstag sehr schätzen, weil er auch ihnen oas Sprungbrett zu erneutem Einflüsse, das ihnen bisher Bureaukratie und Militär war, werden wird. Sie werden vielleicht Verstärkung erhalten durch die uatioualliberale Rechte, die kaum dauernd bei der jetzigen Mehrheit bleiben wird. Es wird niemanden Wundern dürfen, wenn die Partei, die einst Bismarck die bisherige Neichsverfassung schaffen half, auseinandergeht, wenn der Umbau des Reiches weiter sortgesetzt wird. Auch die Sozialdemokratie hat ja, ehe sie reif wurde für ihre jetzige Politik, eine starke Absplitterung erlebt. Daß das Zentrum seine alten Gegensätze zur Sozial­demokratie und zum Liberalismus nicht völlig begraben hat, ist auch sicher.' Die WeiterentwickliMg unsres Parlamentarismus ruht also noch völlig im Dunkel. Aber jede irgendwie geartete Gegenkoalition gegen die jetzt zur Herrschaft gelangte Großblockidee wird auch auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage ruhen. Auch eine spätere, etwa wieder konservative Regierung wird nicht wieder auf außerparlamentarischem Wege ans Ruder kommen. In diesem Sinne dürste dieMehrheit" am 30. September etwas Unwiderrufliches erreicht haben.

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Berufswahl und Begabtenschule

von Professor Dr. Wilhelm Martin Becker

s ist jetzt eine schlechte Zeit für den Individualisten. Ein Spiel der Wellen treibt sein kleiner Kahn im Meeresstrom des Geschehens, der ihm seinen Kurs, oft peinlich bis ins einzelne, vorschreibt. Aber er findet sich damit ob' hat er doch in hoher Stunde das Ziel seiner ! Fahrt, das Heil des Vaterlandes, des Volksganzen, bejaht; so kann ! es ihm jetzt nicht entgegen sein, wenn er sich unter ein Kommando stellen mutz, das ihn an das Ziel zu führen verspricht. Wie schwere Überwindung es manchen kostet, diesem Kommando vertrauend -zu folgen, weiß Gott; auf den Schultern der Führer häuft sich die Verantwortlichkeit bergehoch.

Es gibt keine einzelnen mehr, und es wird sie auch nach dem Kriege auf lange hinaus nicht mehr geben. Die Tatsache, daß einer ein Deutscher ist, wird ihn verpflichten. Er wird seinen Platz im Friedensheer einzunehmen haben, den seinen Kräften und .inneren Möglichkeiten entsprechenden Platz. Drohnen hat der Deutsche seit langem schwer ertragen, er wird sie von nun an verachten.

Zu den Problemen von größter Tragweite, die mit dieser Sozialisierung dem Staate neu zuwachsen, gehören die der Bevölkerungsvermehrung, der Be­völkerungsverteilung und der Berufsschichtung. Drei Domänen individualistisch- liberaler Auswirkung. Drei Gebiete, deren Gesetzmäßigkeiten und funktionale Be- Ziehungen schon seit Jahrzehnten ernster Durchforschung wert waren. Drei Lebens- kreise, in denen vielfach anstelle des bisherigen freien Entschlusses eine rationelle Beeinflussung im Sinne des Volksganzen treten muß.