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des französisch-russischenBündnisses,derwieder- um zum Abschluß deS Dreibundvcrtragcs führte. Die Unruhe in Europa hörte nicht mehr auf.
Es nützt den Franzosen nichts, wenn sie in zurechtgemachten Gelbbüchern jetzt beweisen wollen, dasz ihr Bündnis mit Rußland defensiven Charakter hatte. Es gibt keine Bündnisse, die nach außen hin aggressiven Charakter zeigen, mit Ausnahme derjenigen, die während eines Krieges zum praktischen Eingreifen in den im Gange befindlichen Kampf abgeschlossen werden. Alle anderen Bündnisse sind defensiv. Sobald sie Gegenbündnisse zur Folge haben, werden sie aber gefährlich, namentlich
wenn sie, wie bei Frankreich, heimliche Kriegshoffnungen in sich schließen.
Die größte Gefahr für Europa war der Eintritt Englands in den Bündnisring unserer Gegner. Damit wurde die „Balance der Mächte" hergestellt, die Kant vergleicht mit dem Swistschen Haus, „welches von einem Baumeister so vollkommen nach allen Gesetzen des Gleichgewichts gebaut war, daß, als sich ein Sperling darauf setzte, es sofort einfiel".
Serbien war dieser Sperling.
Die Defensivbündnisse „zur Erhaltung des Friedens" waren zur Gefahr für den Frieden geworden.
O. T.
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Rudolf Pannwitz, Die Krisis der europäischen Kultur. Verlag Hans Carl in Nürnberg, 1917.
Dieses merkwürdige, ohne Zweifel gehaltvolle und doch in seiner ideellen Tragweite heute noch nicht recht wägbare Buch gibt sich als Auftakt einer Folge von Werken, die unter dem Gesamttitel „Die Freiheit des Menschen" zusammengefaßt sind und nicht mehr und nicht weniger als eine völlige Neuorieutierung der europäischen Kultur versuchen. Die Skepsis, die solch gruudstürzendem Anrennen Wider den sicheren Gaug nnseres Europäismus entgegensteht, wird durch die Tiefenschicht gemildert, in der der Verfasser seine Erörterung führt. Der vorliegende erste Band gibt im wesentlichen einen Aufriß der 'außerdeutschen Voraussetzungen der gegenwärtigen europäischen Krisis, der zweite' Band, das .Jahrhundert des dcuisclien Geistes", soll den geistiqen Zerfall Europas an der deutschen Geistesentwicklung von 1750—1850 aufweisen. Die Grundthese ist, daß die europäische Kultur rettungslos der Zersetzung verfallen ist und mit eignen Mitteln keinen Ausweg aus ihr findet. Als Heilmittel wird eine Rezeption altorientalischen, vor allem indischen und chinesischen Geisteserbes verkündet.
Zu einer solchen umfassenden Kulturtheorie läßt sich nicht in den wenigen Worten einer literarischen Anzeige Stellung nehmen. Auch wird ein abschließendes Urteil erst beim Vorliegen der weiteren Bände möglich sein. Soviel kann jedenfalls schon jetzt gesagt werden, daß ein Eingehen auch auf die abseitigen Gedankengänge dieses Buches selbst sür den von reichem Ertrag sein wird, der sich die Grundthese selber nicht zu eigeU machen kann. Schließlich find ja auch Diagnose und Therapie einigermaßen unabhängig voneinander. Für die Analyse der europäischen Kulturkrise gibt Pannwitz ohne Zweifel einen Beitrag von so hohen: geistiglein Range, daß man an dieser denkerischen Leistung in Zukunft nicht wird Vorbeigehen können.
Eine merkwürdige zeitgeschichtliche Bedeutsamkeit erwächst seinem Buche aus seiner entschlossenen geistig-antienglischen Orientierung. Im überwuchern englischen Geistes sieht er das eigentliche Zerfallssymptom in: modernen Europa. Indem er Napoleon als letztes fundamental antienglisches Phänomen des Festlandes, als letzten vergeblichen Versuch der wirklichen Überwindung der Eng- länderei aufsaßt, gewinnt er vor allem zu der deutschen Politik seit den Befreiungskriegen, die auf den Sieg über Napoleon aufbaut, ein durchaus negatives Verhältnis. Pannwitz glaubt im Gegensatz zu der bei uus seit Lessing