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Iesuitenfrage und konfessionelle Polemik
ja mußte, das ist doch leicht einzusehen. Wenn man das Heil nicht von vernünftigem energischem Handeln, sondern von der Häufung der Gebetlein und geschmacklosen neuen Andachten, von Skapulieren und Amuletten, von Marien- erscheinunge» und Wundern erwartet, die „Rom und Frankreich" retten sollen, so geschieht erstens nichts von dem, was zur Leitung der öffentlichen Angelegenheiten notwendig ist — die gläubigen Franzoseu haben weder eine kräftige politische Partei noch eine gute Presse gegründet noch die soziale Tätigkeit organisiert; in alledem sind die preußische,, Katholiken Meister, dank ihrer Erziehung durch den protestantischen Hoheuzollernstaat —, und zweitens wenden sich zunächst alle gescheiten und dann überhaupt alle Männer von einer solchen kaum noch für Neger und Indianer brauchbaren Religion ab und überlassen sie den Weibern und den Kindern. Die deutschen und die schweizerischen Katholiken haben den Franzosen ähnliches oft gesagt. Die Neue Züricher Zeitung hatte ein^ mal, um die Protestanten wach zu erhalte,,, das katholische Leben in Frankreich als noch sehr stark und regsam geschildert; da schrieben deutsche Zentrumsblätter, das sei Schönfärberei; in Wirklichkeit stehe es ganz elend um den französische» Katholizismus; eiu frauzösischer Katholik zum Beispiel, der im mittler,: Frankreich Landgüter besitze, habe erzählt, daß er in großen Gemeinden manchmal Sonntags der einzige Kirchenbesucher sei. Uud welches Armutszeugnis stellen die Katholiken ihrer Kirche ans, wenn sie in den beiden ganz katholischen Ländern Frankreich und Italien das Häuflein der klerikalen Wühler „die Katholiken" nennen und damit zugeben, daß die Masse des Volks aus Heiden besteht! Lutheraner oder Calvinisten werden die Romanen niemals werden. Wenn aber unsre deutschen Katholiken ihren Glaubensgenossen in jenen Ländern Vorwürfe machen, so übersehen sie, daß die dortigen Auswüchse der Bigotterie weiter nichts sind als die folgerichtige Ausgestaltung des Katholizismus, den Pius der Neunte gegen den heftigen Widerstand der Führer der deutschen Katholiken für den richtigen und orthodoxen erklärt hat. Sehr hübsch wird die Sachlage dnrch einen kleinen Zwist der Frankfurter Zeitung mit der Kölnischen Volkszeitung beleuchtet. Das große Zeutrumsorgan rühmt sich, zusammen mit dem Jesuitenpater Gruber den Taxilschwindel aufgedeckt zu habe,,. Die Frankfurter Zeitung weist dieses Selbstlob mit Recht zurück. Pater Gruber hatte den Unsinn, auf den schon der gauze französische und italienische Katholizismus bis in die Kreise der Monsignori hinein augebissen hatte, durch seine Übersetzung auch nach Deutschland verschleppt, wo der in 90000 Exemplaren gelesene Pelikan seine Verbreitung übernahm, und der 1896 in Trient ab- gehaltne Antifreimaurerkongreß würde mit einem glänzenden Siege Taxils geendet haben, wenn nicht die Kölnische Volkszeitnng hintelegraphiert hätte, daß sich soeben ein Teilnehmer des Schwindels selbst verraten habe. Erst von da nn haben ihn das Blatt und Gruber bekämpft. Sehr gut schreibt die Frankfurter Zeitung: „Was würde man dazu sagen, wenn jemand, um einen modernen Münchhausen, der auf dem Planeten Mars Kanalaufseher gewesen sein will, der Unwahrheit zu überführen, eines polizeilichen Attestes darüber bedürfte, daß der Mann zu der angegebnen Zeit in Boinst oder Meseritz gelebt hat? Den tollen Lügen Taxils gegenüber haben der Jesuit und das Zentrums-