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Jesuitenfrage und konfessionelle Polemik :
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Iesuitenfrage und konfessionelle Polemik

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der Lehre von der Transsubstantintion. Ich mag keines der Worte anführen, mit denen in bigotten Andachtsbüchern die erhabne Würde des Priesters ge­schildert wird. Ans diese nun steifen sich natürlich vorzugsweise alle mittel­mäßigen und unbedeutenden oder gar lasterhaften Mitglieder der Hierarchie, die sich ihres Mangels an eignem, persönlichem Werte bewußt sind, denen aber dennoch der verliehenen Würde wegen das gläubige Volk die gesalbten Hände und den Saum des pricsterlichen Gewandes küßt, ja die Füße dem, der auf dem Stuhle des Pontifex sitzt. Diese Gesinnung macht den Pfaffen aus im Unterschiede vom Geistlichen. Nun sind es die Mönche und die Nonnen, die nicht aus pfäffischer Gesinnung, sondern als schwärmerische, enthusiastische und aller Mystik zugeneigte Seeleu die bedenklichen Eigentümlichkeiten des Katholizismus: den Orthodoxismus, den Wuuderglauben und den Heilsmecha­nismus, am eifrigsten fördern und am schärfsten ausprägen, uud darum ist die grundsätzliche Abneigung der Protestanten gegen das Mönchswesen gerecht­fertigt, nur daß sie irrtümlich die Jesuiten für die schädlichsten unter den Mönchen halten, was sie in Wirklichkeit nicht sind. In der Wundersucht werden sie von andern Orden übertroffen, in der Mariolatrie wetteifern die übrigen mit ihnen. Ihre Verschuldung in neuerer Zeit besteht darin, daß sie starr an der Scholastik festhalten, alle Anläufe zu einer liberalen katholischen Theologie bekämpfen und ihrem vierten Gelübde gemäß mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln die Erhöhung des Papsttums betreiben; sollen sie doch die Hauptmacher des Vatikanischen Konzils gewesen sein.

Aber was von alledem die evangelische Kirche uud der Protestantismus zu fürchteu haben sollen, das verstehe ich so wenig wie der Verfasser der Silvesterbetrachtung im ersten diesjährigen Grenzbotenheft (S. 11). Je stärker sich der Orthodoxismus uud die Bigotterie entwickeln, desto dümmer und kraft­loser werden die Katholiken, desto weniger wird einen Protestanten die Lust anwcmdeln, katholisch zu werden, und desto mehr gute Köpfe uud tüchtige Charaktere werden die katholische Kirche verlassen. Rom uud die Jesuiten sind also die besten Bundesgenossen des Protestantismus, und nur die blinde An­hänglichkeit an eine unter ganz andern Verhältnissen entstandne Tradition kann den Evangelischen Bund zu seiner verkehrten Politik verleitet haben. Es wird mich wenig rühren, wenn manche Herren Pastoren, die das lesen, sagen werden: Was weiß denn der? Wir müssen doch besser wissen, was unsrer Kirche dient. In den Jahren 1872 bis 1877 habe ich den schmählichen Ausgang des Kulturkampfes vorausgesehen; öffentlich voraussagen konnte ich ihn nicht, weil kein akatholisches Organ meine Voraussagungen aufnahm. Was der Katholizismus aus den Romanen und aus Österreich gemacht hat, das liegt doch vor aller Welt Augen. (Der römische Katholizismus ist ein Produkt des romanischen Geistes, verstärkt aber natürlich, nachdem er einmal geworden ist, dessen Eigentümlichkeiten.) Herr Combes und seine Freimaurer sind gewiß eine jämmerliche Gesellschaft, aber je jämmerlicher sie sind, desto jämmerlicher erscheint der Katholizismus, der es so weit gebracht hat, daß sich ein ganz katholisches Land von dieser jämmerlichen Gesellschaft beherrschen und in religiösen Dingen tyrannisieren läßt. Und wie es so weit kommen konnte, Grenzbote» I 190S 85.