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Jesuitenfrage und konfessionelle Polemik :
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Iesuitenfrage und konfessionelle Polemik

macht für den allgemeinen Zustand seines Volkes. Der Höllenglaube mag ein Kind von einer verbotnen Näscherei abhalten (die Ewigkeit tut dabei nichts zur Sache, Androhung einer minutenlangen Feuerpein würde dieselbe Wirkung haben), mag den Sterbenden mit wahnsinniger Angst erfüllen und uach der Absolution verlangen lassen daß er die Heranwachsenden und die Erwcichsnen weder vor Sünden noch vor Lastern und Verbrechen bewahrt, beweist die tägliche Erfahrung: die Gläubigen aller Konfessionen unterscheiden sich in Beziehung auf Sittlichkeit und Kriminalität gar nicht von den Un­gläubigen. In Zeiten religiöser Exaltation hat der Höllenglaube bei den von ihr Ergriffnen die Zahl der Fleischessünden vermindert, dafür aber die der Härte und der Grausamkeit vermehrt, die mehr als jene wider das Evangelium sind, das gerade die Unbarmherzigen mit dem Höllenfeuer be­droht. Nicht, daß der Gedanke an das Jenseits in allen Fällen unwirksam wäre, aber dem Besonnenen genügt der Gedanke an die jenseitige Verant­wortung ohne die Zutat von Schreckbildern. Der katholische Katechismus zählt sechs Stücke auf, die zu wissen jedem Christen zur Seligkeit notwendig sei, und wenn die katholische Kirche die Glaubenspflicht darauf beschränkte, so wäre damit die große Reformation, die ihr not tut, vollbracht. Das zweite dieser Stücke nun lautet:daß Gott ein gerechter Richter ist, der das Gute belohnt und das Böse bestraft, entweder bald oder mit der Zeit, wenn nicht in diesem, so doch im künftigen Leben." Warum läßt man es nicht bewenden bei diesem vernünftigen und vollkommen genügenden Satze, über den hinaus wir nichts, aber auch rein gar nichts wissen können? Daß ein Professor an einer königlich preußischen Akademie letztes Neujahr seine Höllen­topographie aufs neue herausgeben konnte, ohne daß ihm sofort von der geistlichen wie von der weltlichen Seite die venia IsZsiM entzogen wurde, das ist beschämend sowohl für die katholische Kirche wie für den Staat.

Nach der Absolution verlangen lassen" da haben wir die Hölle als Angelpunkt des ganzen scholastischen Lehrgebäudes! Wie immer die frohe Botschaft der Erlösung zu versteh» sein mag, die Theologie hat je länger desto entschiedner die Erlösung von der ewigen Höllenpein daraus gemacht und darauf ihren aus Sakramenten, Opferhandlungcn, Lossprechungen, Weihungen bestehenden Heilsapparat gegründet, der nur eine Erneuerung der jüdischen Opfer und der griechischen Mysterien ist. Natürlich verstand man mit der den Scholastikern eignen Denkvirtuosität alle diese heidnischen Bestand­teile in organische Verbindung zu bringen mit den neutestamentlichen Ge­schichten und Ideen. Je besser es nun gelang, die Christenheit mit Furcht vor der Hölle zu erfüllen, desto mehr entsprach diese Theologie den eignen Wünschen, dem Herzensbedürfnis der Masse, und die hierarchisch gegliederte Priesterschaft hätte nicht aus Menschen bestehn müssen, wenn nicht die Rück­sicht auf den eignen Vorteil zu einer mächtigen Triebfeder für die immer reichere Ausgestaltung des .Heilsmechanismus und der ihn begründenden Dogmatik geworden wäre. Die Geldgier der römischen Kurie offenbarte sich am naivsten in der übrigens wunderschön logisch aufgebauten Lehre vom Ablaß, und der pfäffische Hochmut feierte seine höchsten Triumphe in