646 Jesuitenfrage und konfessionelle Polemik
Verfassung des Menschen mit dem Worte Glauben zu bezeichnen, hat sie nur tiefer darein verstrickt, denn wie anders der rechtfertigende Glaube auch gemeint sein mochte, den theologischen Kampfhähnen des Jahrhunderts wurde er mehr und mehr zum Glauben an Worte und an Buchstaben. Unter den Dogmen nun wurde besonders eins verhängnisvoll, das von dem persönlichen Tenfel und der Hölle; es hat das ganze siebzehnte Jahrhundert zu einer wüsten Teufelei gemacht. Und es ist, nachdem sich im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts die ganze protestantische Laienschaft davon abgewandt hat, der Grundstein und die Tragsäule der katholischen Orthodoxie geblieben. Furchtbare Naturerscheinungen, die Leiden und die Ruchlosigkeiten der Menschenwelt zwingen dem kindlichen Menschen den Glauben an böse Götter auf. Nachdem die Philosophie die Einheit der Welt erkannt nnd das religiöse Gemüt zur Annahme des Monotheismus genötigt hat, müssen die gute» Götter zu Engeln und Heiligen herabgesetzt werden, die bösen aber zu Teufeln zusammenschrumpfen, deren Wirkungsgebiet jedoch immer enger wird und zuletzt schwindet, wenn die natürlichen Ursachen der physischen und der moralischen Übel erkannt werden. Daß das Jenseits die im Diesseits unerfüllt gebliebnen Forderungen der Gerechtigkeit befriedigen, und daß das jenseitige Schicksal der Seele ihrer Würdigkeit entsprechen muß, versteht sich von selbst. Beides wird auch im Neuen Testament bestätigt. Wir Heutigen wissen, daß wir uns mit diesem „daß" zu begnügen haben, von dem „wie" aber so wenig Kenntnis und einen Begriff, eine Vorstellung erlangen können wie überhaupt vom Jenseits. Aber dem Volke fällt solche Bescheidung auch heute noch schwer, und vor zweitausend Jahren war sie ihm unmöglich. Das Christenvolk fuhr fort, die griechischen und die orientalischen Phantasiebilder jenseitiger materieller Belohnungen und Strafen zu hegen, und die mittelalterlichen Theologen, anstatt solchen Volksphantasien zu wehren, machten sie zu einem Gegenstand ihrer Spekulation, nicht bedenkend, daß sie damit einen Gott zustande brachten, der sich vom Teufel und vom Moloch nur durch seiue Ungereimtheit unterschied, indem er mit seiner Scheußlichkeit gute und edle Eigenschaften in unendlichem Maße vereinigen sollte. Das scholastische Denken ist eben reines Verstaudeswerk. Zum vernünftigen Denken gehört die Kontrolle des Verstandes durch das Leben, durch die Erfahrung und durch das gesunde Empfinden. Der übrigens verehrungswürdige Anselm von Cauter- bury rechnete aus, daß jede Sünde, auch die kleinste, eine unendliche Strafe verdiene, weil sie eine Beleidigung des unendlichen Gottes sei. Ganz logisch rechnete er das heraus; aber seine Logik war auf dem Holzwege, weil der Ansatz seines Rechenexempels aus lauter unvernünftigen Annahmen bestand. Am meisten hat Calvin Gott dem Teufel nahegebracht, da sein Gott die Bösen zu dem Zwecke schafft, an ihnen seine Strafgerechtigkeit zu offenbaren, und sie darum zum Bösen zwingt. Die Jesuiten sind in dem Wahnsinn des orthodoxen Zeitalters die verhältnismäßig vernünftigsten und humansten geblieben, indem sie einerseits die menschliche Willensfreiheit lehrten und so wenigstens einen Rest wirklicher Gerechtigkeit in Gott übrig ließen, andrerseits das nach katholischer Lehre einzige Mittel für Millionen, der Höllenpein zn