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Jesuitenfrage und konfessionelle Polemik :
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Iesnitenfrage und konfessionelle Polemik

Erscheinungswelt einen Gott fordert, den wir mit dem Schönsten und Besten, das auf Erden erscheint, und mit einem von der Erscheinungswelt unab­hängigen innern Leben ausgestattet denken müssen. Und nicht allein die Denkgewohnheiten der Philosophen hat die alte Kirche in sich aufgenommen, sondern, trotz allem anfanglichen Sträuben, mit den ihr zuströmenden Völkern auch deren Mythologien und Kulte, und sie hat diese mit ihren Dogmen zu einem harmonischen Ganzen verflochten. Auch das war an sich noch kein Unglück, vielmehr eine Notwendigkeit. Sagen wir kindlich und volkstümlich für heidnisch, so ergibt sich von selbst, daß die Masse der Menschen niemals eine andre Religion wird haben können als die heidnische, oder mit andern Worten, daß soviel der Durchschnittsmensch von dem christlichen Ideen- und Kraftgehalt zu fassen vermag, ihm nur mit Sagen und Symbolen umhüllt mitgeteilt werden kann. Wie schön hat Goethe im siebenten Buche von Wahrheit und Dichtung den Wert der katholischen Sakramentenlehre klar ge­macht! Das Heidnische im schlimmen Sinne fängt erst an, wenn aus dem Symbol des Jenseitigen und der göttlichen Gnadenwirkungen ein Zauber- mittcl gemacht wird, das oxsro opsratv, ohne die Vermittlung des ver- standncn Wortes, des Denkens und der Phantasie des Begnadigten, zu wirken vermöge. Und dieses vxus opsrg.rmn ist orthodox katholische Lehre geworden.

Nach der Reformation dachte man sich anfänglich den Beginn der Ver­derbnis irgendwo im finstern Mittelalter. Die historische Forschung sah sich dann genötigt, immer weiter zurückzugehn, und fand das Mythische und Hierarchische zuletzt schon in den Katakomben, ja im Neuen Testament. Daraus haben verschieden geartete Protestanten entgegengesetzte Folgerungen gezogen. Fromme und gelehrte Männer wie der Engländer Newman und der Breslauer Kirchenhistoriker Hugo Lämmer sagten sich: das katholische Christentum ist das ursprüngliche, also ist es das wahre Christentum, und sie konvertierten. Die Masse der protestantischen Theologen dagegen gelangte zn dem Schlnsse: das echte Christentum, die Religion Jesu, ist überhaupt noch nicht dagewesen; sie soll erst in der Zukunft verwirklicht werden. Sie begannen nun, dieses wahre Christentum aus seinen historischen Hüllen herauszuschälen, schnitten aber zu tief und warfen mit der Schale auch den Kern weg: die Göttlichkeit der Bibel und die Gottheit Christi; die gelehrte Laienschaft der Protestanten dann warf, sich der Autorität naturwissenschaftlicher Talmi- Philosophen beugend, auch uoch die Persönlichkeit Gottes und die unsterbliche Menschenseele hinterdrein, sodaß nicht einmal ein Stück heidnischer Religion mehr übrig blieb. Die Wahrheit nun liegt nicht sowohl in der Mitte, als in der richtigen Verbindung der beiden Betrachtungsweisen. Volkstümliche Auffasfungen wie die Herleitung der Krankheiten von dämonischen Einflüssen reichen in der Tat bis in das Neue Testament hinein. Schon Giordano Bruno hat erkannt, daß sich auch Jesus in der Vorstellungsweise seiner Zeit halten mußte, wenn er wenigstens von einigen Zeitgenossen leidlich verstanden werden wollte. Innerhalb jeder solchen volkstümlichen Auffassung kann das Christentum von einzelnen vollkommen, von der Masse in einem gewissen be-