Maßgebliche und Unmaßgebliches
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sind. Denn die klerikale Kölnische Volkszeitimg ist nicht nur mit der Ernennung des Freiherrn von Richthofen, im Gegensatz zu Windthorst, sehr einverstanden, sondern sie verlangt auch noch die Ernennung mindestens des Reichsschatzsekretärs zum preußischen Staatsminister, nm damit den ihr viel zu großen Einfluß des preußischen Finanzministers zu brechen, der auf Grund seiner am Rhein gesammelten Erfahrungen nicht zentrnmsfreundlich genug ist. So ändern sich die Zeiten! Was damals Windthorst für verfassungswidrig und unkonstitutionell erklärte, bezeichnet jetzt die Kölnische Volkszeitung nicht nur als „durchaus nötig," sondern sie verlangt cmch die Ernennung des Reichsschatzsekretärs als noch viel wichtiger und notwendiger, ja sie fordert „eine organische Verbindung des Amtes der Rcichsschatz- sekretcire mit der Mitgliedschaft im preußischen Staatsministerium." O seliger Windthorst, wie kurzsichtig bist du doch gegenüber deinen Epigonen gewesen! Du konntest freilich von Zeiten nicht einmal träumen, in denen es deiner Partei als möglich erscheinen würde, durch ihre Stellung im Reichstag ans dem Wege über den Reichsdienst das verhaßte Preußen und seine Krone unter die Zentrumsherrschaft zu beugen, namentlich die Krone, die zwar den katholischen Untertanen die verfassungsmäßige Gleichberechtigung, nicht aber dem Zentrum die Herrschaft im Staate zugestehn will. Das Zentrum, das noch auf lange Zeit hinaus im Reichstag und im Reiche die regierende Partei zu bleiben hofft, will durch seinen Reichseinfluß auch Preußen und vor allem die Abstimmungen des preußischen Staatsministeriums regieren. Wohl ausgesonnen, Pater Lamormain!
Etwas ganz andres ist es, wenn den Chefs der Reichsressorts Gelegenheit gegeben wird, vor Abschluß neuer Vorlagen ihre Gedanken im preußischen Staatsministerium vorzutragen, nur zur Information für dieses. In solchem Sinne haben die Staatssekretäre des Reichsschatzamts und des Reichsjustizamts wiederholt Sitzungen des preußischen Staatsministeriums beigewohnt, in diesem Sinne ist wohl auch der Staatssekretär der Marine zum Mitgliede des Preußischen Staatsministeriums ernannt worden. Mit der Ernennung des Staatssekretärs des Auswärtigen ist mir auf die Tradition der bismarckischen Zeit zurückgegriffen worden. Wie einst sein Vater, so ist auch der jetzige Reichskanzler als Staatssekretär des Auswärtigen Mitglied des preußischen Staatsministeriums gewesen, der Staatssekretär des Innern, Graf Posadowsky, bekleidet diese Mitgliedschaft ebenso wie sein Vorgänger Freiherr von Bötticher, der sogar Vizepräsident des preußischen Staatsministeriums war, eine Funktion, die dann bekanntlich auf Miquel überging und seitdem nicht wieder erneuert worden ist. Ein organischer Zusammenhang zwischen Preußen und dem Reiche hat also, ganz abgesehen davon, daß der König von Preußen Deutscher Kaiser, und der Ministerpräsident zugleich Reichskanzler ist, immer bestanden, und wie seinerzeit bei der ersten Ernennung im Jahre 1876, also vor fast dreißig Jahren, so ist es heute noch die Aufgabe der zu preußischen Staatsministern ernannten Chefs der Neichsämter, im Schöße des preußischen Staatsministeriums die Anschauungen des Reichskanzlers und die Bedürfnisse der Reichspolitik ressortmäßig zu vertreten. An der Erhaltung der Selbständigkeit des preußischen Staatsministeriums und der preußischen Krone hat der Reichskanzler ein viel zu großes Juteresse, als daß er je die Hand zu einer organischen Einrichtung bieten sollte, die dazu bestimmt wäre, Preußen unter die jeweilige Reichstagsmajorität zu beugen. Und wenn nun zum Beispiel der Reichsschatzsekretär sui M-is im preußischen Staatsministerium säße und dort überstimmt würde, in welche Situation geriete er dann? Die Staatssekretäre sind als preußische Staatsmiuister immer nur im Sinne von Vertretern des Reichskanzlers denkbar, und demgemäß kann auch ihre Zahl immer uur begrenzt sein. Admiral von Tirpitz zum Beispiel kann ja in preußischen Küsten-, Hafen-, Lotsen- nnd Schiffahrtsfragen gewiß ein nützliches Wort mitsprechen, aber außerhalb dieser Angelegenheiten interessieren ihn von den preußischen Dingen höchstens noch Kohlenfragen, auch hat der Chef eines-