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Im alten Brüssel :
(Fortsetzung)
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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Die Frühlingsstürme hatten sich gelegt, breit und warm lachte die Sonne. Den Unzufriednen ging der Atem nnd die Geduld aus, im Sonnenschein wurde ihnen wohl und warm.

Draußen auf dem Laude blühten die Blumen schon, und im Bois de la Cambre waren die Bänke bei Moeder Lambie neu gestrichen, uud der alte Fiedel­mann spielte schon im Freien.

Wie jedes Jahr zogen dieChasseurs de Priukeres" nnfs Land hinaus nach St. Job, unter klingendem Spiel. Jedes Jahr waren die Marolliens fröhlich mitgezogen, sollten sie diesesmal zurückstehn? Nein, da warfen sie lieber mit er­staunlicher Behendigkeit die düstere Miene ab, fuhren in die bunten Röcke, schulterten die hölzernen Kinderflinten und reihten sich in den lustigen Zug. Die alte Brüßler Zwanze ging nun wieder um! Purzelbäume schlagend liefen die Ketjes neben den harmlosen Kriegern her: Wohin, ihr Braven? Auf die Maikäferjagd! Und das breite flamändische Lachen erwachte mit der Zwanze.

Mutter Kirche sah sie vorüberziehn und wußte nun, was sie zu tun hatte: sie wollten ihre Feste feiern, die alten leichtsinnigen Brüßler Kinder, und Feste sollten sie haben, damit ihre Laune wieder freundlich würde. Laßt die alte Kirche nur sorgen, sie versteht sich auf ihre schaulustigen, vergnügungssüchtigen Brüßler. Sie sollen ihren kirchlichen Ommegang, ihre Prozession haben!

Reichsspiegel. Der Beratung des Marineetats in der Budgetkommission war mit ziemlicher Spannung entgegengesehen worden, weil es unvermeidlich war, daß die Marineverwaltung sich dabei über den weitern Ausbau der Flotte erkläre» mußte. Das hat Admiral Tirpitz denn auch getan, nnd zwar mit Erklärungen, die die Zahl der nen zu fordernden Linienschiffe offen ließen, dagegen für neue kleine Kreuzer und neue Turpedobootsdivisionen die Zahlsieben" in Aussicht nahmen. Die Hauptsache bleibt, daß für den Herbst 1905 eine weitere Ausgestaltung des Flottengesetzes nun definitiv angekündigt worden ist. Die Marineverwaltung mußte ein gewisses Kreuzfeuer von Erwägungen überwinden, von denen die einen dahin gingen, daß gegenüber der neuen englischen Flottenaufstelluug und der Rede desZivilseelords" Lee eine schleunige Verstärkung der deutschen Flotte unver­meidlich sei, die andre, daß eine neue Flottenvorlage eine direkte Herausforderung Englands bedeuten würde. Den einen wie den andern hat Admiral Tirpitz durch seine Ankündigung die richtige Antwort gegeben. Bedauerlich sind die in der Kommission gegen den Flottenverein laut gewordnen Angriffe. Der Flottenverein ist, auch wenn man keineswegs alles billigen will, was in seinem Namen geschrieben wird, eine für Deutschland nicht nur nützliche, sondern notwendige Einrichtung. Der Zcntrumszorn gegen den Verein ist begreiflich, erstens weil er in die Zeutrums- kreise weit hineinreicht uud somit stellenweise ein Gegengewicht gegen die Zentrums­leitung darstellt, sodann weil er in seiner weitverzweigten Organisation die Cadres für einen etwaigen Wahlfeldzug enthält, der etwa bei Ablehnung einer Flotten- Vorlage notwendig werden könnte.

Der Verlauf der Beratung des Marineetats in der Kommission ist ein solcher gewesen, daß man die Ratifizierung der Kommissionsbeschlüsse durch das Plenum nur wünschen kann. Für den stillen und konsequenten Ausbau der Flotte im Rahmen des Flottengesetzes ist alles Nötige bewilligt, und die Ankündigung einer Erweiterung dieses Rahmens ist einem nur mäßigen Widerspruch, im ganzen

(Schluß folgt)

Maßgebliches und Unmaßgebliches

Grenzboten 1 1905

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