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Die magyarische Frage
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Lin deutscher Professor

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einen unabhängigen magyarischen Nationalstaat erfüllt, ist das Magyarentum durch eine opportunistische Politik nur mit einer dünnen dualistischen Schicht überkleidet worden, die nunmehr geborsten ist, nachdem sie jahrzehntelang den oberflächlichen Beschauer, besonders das Ausland, über den wahren Zustand der Dinge getäuscht hat.

Es wäre sehr undankbar, den Propheten spielen zu wollen. Es gibt drei Möglichkeiten, die nun eintreten können: erstens die gänzliche Beseitigung des Dualismus von 1867 und seine Ersetzung durch die Personalunion, zweitens die Zolltrennung der beiden Reichshälften beim Ablaufe des gegenwärtigen Provisoriums, drittens eine vollständige Änderung des Kurses im Sinne der Politischen Emanzipation der nichtmagyarischen Nationalitüten Ungarns. Die zweite Möglichkeit hat am meisten für sich: Ungarn würde die wirtschaftliche Trennung von Österreich erreichen, die Krone aber das neue Wehrgesetz er­halten, wodurch die Einheit der Armee auf zehn Jahre gesichert würde. Ob dieser Zustand auch dann nach zehn Jahren noch aufrecht erhalten werden könnte, ob es möglich sein wird, für zwei wirtschaftlich getrennte Staaten auf die Dauer eine gemeinsame auswärtige Politik zu machen, das ist eine Frage, die wie immer die gegenwärtige Krise enden mag, den Ausblick auf neue schwere Krisen eröffnet, und darum hat man ein Recht, von einer magyarischen Frage zu sprechen, denn was sich in Ungarn vollzieht, ist der bis jetzt erfolg­reiche Versuch des Magyarentums, die Grundlage zu zertrümmern, auf der bisher seine Beziehungen zur Habsburgischen Dynastie, zn Österreich und zu den europäischen Staaten beruhten.

Ein deutscher Professor

er Zug der Zeit geht auf das Ermitteln der Gesetze der Ent­wicklung uud auf das Herausarbeiten von Typen. Amerika leuchtet uns in dieser Hinsicht voran. Mit Hilfe der Photographie ist es dort sogar gelungen, typische Physiognomien eines Standes herzustellen. Aus etwa zwanzig Gesichtern ergab sich das Durch­schnitts gesicht eines Tramkutschers oder eines Arztes; es sind Physiognomien, denen wirklich absonderliche Standeszüge eigen sind. Ob es wohl auch gelingen mochte, den Durchschnittstypus eines deutschen Professors photographisch fest­zulegen? Gewisse Züge sind ja wohl für den Durchschnitt typisch. Er hält sein Arbeitsfeld für das vornehmste und wichtigste, er treibt Kameraderie und hegt liebevoll kollegialen Klatsch, er redet lieber, als daß er hört, er ist meistandrer Meinung," er hat schon gesagt, was der Kollege als seine Entdeckung ver­kündigt, er ist überhaupt in jedem Einzelfalle klüger als die Fachgenossen. Trotz­dem meine ich, bisher überwiegt noch im deutschen Professor, wenn er sich nicht selbst zum wissenschaftlichen Handwerker und Ausbeuter heruntersetzen läßt, die kräftige Individualität, die vornehme Sachlichkeit, die Unbekümmertheit um den