Maßgebliches und Unmaßgebliches
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Haarknoten lösen und von liebkosender Hand die lange, weiche Haarmtthne glätten. Sie wurde durch keine Frage gequält, ein müder, wohliger Traumzustand umfing sie bei dieser stummen, mütterlichen Sorglichkeit.
Die Freundliche, die an ihrem Bett saß, verlangte keine Beichte und drängte sie nicht mit Worten zu irgendeiner Bekehrung. Sie streichelte nur sanft Fintjes Hand, nnd Fintje, der nie ein Frauenstreicheln die ungestüme Seele berührt hatte, hielt dankbar und verwundert still. Und endlich riß sie aus eignem Antrieb die böse Herzenswunde auf, die ihr so bittere Schmerzeu machte, und hielt sie der -mütterlichen Pflegerin hin: Sieh, so ist mir geschehenl Und die Verständige, Mitleidige, die ihr mit dem lebendigen Interesse der Mitfühlenden zugehört hatte, legte ihre kühlende Hand darauf.
Schlaf mm, Kiud. Schlaf du jetzt, ich lasse deine Hand nicht los!
Auch am folgenden Tage wurde Fintje noch nicht weiter gejagt. Wie der Ertrinkende ans Rettungstcm so klammerte sie sich jetzt an die neue erfahrne Freundin, die sie Mere Marie hießen. Und zaghaft versuchte ihr ungezügeltes kleines Selbst sich eiuzutasten in diese sichere Frauenseele.
(Fortsetzung folgt)
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Neichsspiegel. Für die Handelsvertragsdebatte im Reichstag ist es ungemein charakteristisch, daß der Reichskanzler schon am dritten Tage nicht mehr anwesend war, nnd daß sein Vertreter in dieser Sitzung nur erst nm Schlüsse zu einer kurzen abwehrenden Bemerkung das Wort nahm, um den Zentrnmsredner Speck darüber aufzuklären, daß der Reichstag die Verträge annehmen oder ablehnen, aber nicht umgestalten könne. Verständige Leute werden sich sagen, daß unter solche» Umständen eine Kommissionsberatung für die schon fertig abgeschlossenen Verträge völlig bedeutungslos sei nnd höchstens für einzelne Parteien den Zweck des ut aliquick tseisss viäsawr habe. Für einen Teil der Abgeordneten mag es vielleicht Bedürfnis sein, sich ihren Wählern gegenüber später auf nicht mitteilbare Interna einer Kommissionsberatung berufen zu können. Am vorigen Donnerstag, zum Begiun der Verhandlungen, ist wohl von der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken kein Abgeordneter in die Sitzung gegangen ohne die Überzeugung, daß die Annahme der Verträge gesichert sei. Bei einem Überblick über die gehaltnen Reden drängt sich deshalb auch der Gedanke auf, daß es kein Verlust für Deutschland wäre, wenn die meisten ungehalten geblieben wären, und die Parteien sich auf eine motivierende Erklärung über ihre Stellung zu den Verträgen beschränkt hätten. Dagegen wird man freilich mit Recht einwenden: Wozu noch ein Parlament, wenn es in einer so wichtigen Angelegenheit wie die Handelsverträge nicht mit raten nnd nicht mit taten soll? Gewiß. Aber so unvernünftige Handelsverträge, die für einen verständigen Reichstag unannehmbar wären, schließt in unsern Tagen doch keine Regierung ab, und namentlich diese jetzigen Verträge sind mit einer Gründlichkeit, unter Anhörung aller Interessenten, vorbereitet worden, wie vielleicht keine zuvor. Es war ein stolzes Wort, das der Staatssekretär des Innern sprechen konnte: „Wir haben mit jedem Atout, deu wir in der Hand hatten, einen Stich gemacht." Dem gegenüber hat es denn doch wenig Wert, wenn die vielen Redner, je nach ihrem Standpunkt, das mühsam zustande gebrachte Werk in tagelangen Verhandlungen mit ätzender Lauge übergießen, das sie hinterher doch annehmen. Denn auch unter denen, die schließlich mit Nein stimmen, ist mancher, der sich den Luxus der Ablehnung nur erlaubt, weil er die Auuahme gesichert weiß. Nicht einmal
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