Ernst von Lasaulx
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Pracht großenteils schon erloschen ist. Das Land ist ausgesogen, die Städte haben es verzehrt, und es bleibt nnnmehr, nachdem die Paläste Gasthäuser geworden sind, nichts andres mehr übrig, als daß die Fremden auch in der Tat Besitz davon nehmen." In Mailand macht er die Bekanntschaft einer römischen Familie, zu der auch eiu Geistlicher gehört. „Das Zusammensein mit diesen Leuten hat mich einen interessanten Blick in die italienischen Familienverhältnisse tun lassen. Die ganze Gesellschaft macht zusammen eine sogenannte Heiligtumsfahrt. Sie besuchen alle berühmten Kirchen und Wallfahrtsorte; der Kanonikus liest die Messe, und alle kommunizieren darin und sind während der heiligen Handlung sehr andächtig, im übrigen aber ebenso vergnügungssüchtig und eitel wie alle andern, und die Frau, Mutter von acht Kindern, ist quülerisch und herrisch. Die Genußsucht herrscht hier in allen Ständen in unglaublichem Grade und macht das Volk zum politischen Leben uufähig. Als sie mich gestern fragten, was sie denn tun müßten, um frei zu werden, uud ich ihnen sagte, das erste sei: alle Kaffeehäuser und Theater zerstören oder wenigstens auf dreißig Jahre schließen, da schrien sie laut auf und meinten, um solchen Preis sei ihnen die Freiheit zu teuer. Die meisten und andächtigsten Kirchenbesucher sind — deutsche uud böhmische Soldaten, worin ich einen Fingerzeig mehr erkenne, daß diesen die nächste Zukunft gehört. Von Offizieren sah ich nur zwei oder drei iu den Kirchen, desto mehr in den Kaffeehäusern."
Daß der Katholizismus eines Freundes von Görres, Döllinger und Montalembert nicht ultramontan gewesen sein kann, versteht sich von selbst. Der Ultramontanismus der Männer dieses Kreises beschränkte sich darauf, daß sie an den katholischen Dogmen, auch an dem vom römischen Primat, festhielten; aber sie waren alle begeisterte Freunde der Freiheit, der Vernunft und der Wissenschaft und frei von läppischem Zeremoniendienst und von Aberglauben. Einige Äußerungen Lasaulx mögen seine Stellung zur Kirche andeuten. Seiner Tochter schreibt er 1857:
Der Sache wegen, die du zunächst berührt hast, darfst du vollkommen beruhigt sein. Die Schrift über den christlichen Heiden Sokrates, die ich mit großer Freude ausarbeite, wird nichts enthalten, was ich nicht, wenn heute der liebe Gott mich abriefe, offen und getrost vor ihm verantworten könnte. Wenn sie einem oder dem andern der zornigen Heiligen unsrer Zeit anstößig sein sollte, so kann ich denen nicht helfen; ich werde mich durch sie niemals abhalten lassen, die Dinge, die mir lieb sind, in meiner Weise darzustellen.
Er fand: es gebe kaum eine christliche Wahrheit, die nicht dem Sinne nach schon in der vorchristlichen Welt ausgesprochen worden sei. Auch in der Wissenschaft, auch in der Religion war ihm die Freiheit der Speer, der die Wuudeu heilt, die er schlägt; dem als Atheisten gemaßregelten Prcmtl stellte er als Rektor ein gutes Zeugnis aus. Eiu richtiges Urteil über die Reformation zu füllen, sagte er einmal im bayrischen Abgeordnetenhause, sei noch nicht möglich:
Wir stehn jenem Ereignisse noch zu nahe, sind noch allzusehr mit unfern Sympathien und Antipathien darein verflochten. Einer meiner Freunde hat geäußert, er wünschte, die Reformation wäre entweder nicht ausgebrochen oder in Deutsch-