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Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege
nach dem Stil und der Vollendung, mich fesselte so das Gefühl, das den heiligen Gestalten Leben und Sprache verlieh in einer Zeit, wo sie sogar in den Seelen vieler Frommer nur ein Scheinleben führen, daß ich sie für ein Billiges kaufte. Und auch das wagte der junge Schildermaler kaum zu fordern. Es stellte sich heraus, daß er auch schon in Holz gebildhauert hatte. Mein Vorgänger, der alte Pfarrer, übertrug ihm auf mein Bitten die Wiederherstellung der vermoderten Kreuzwegbilder, die am Wege zu der Kapelle Trinitö stehn. Und als diese Arbeit zu aller, auch der Bauern Zufriedenheit gelang, ließ sich Joseph hier nieder und warf sich auf die Holzschnitzerei. Werkzeug und das Holz der Arven und Ahorne ließ er sich zuerst aus seiuer Heimat kommen, später kaufte ich ihm das nötige Holz bei uns im Lande, wir fanden vortreffliche Lärchen und Ahorne hier. Die Künstlerseele lag in seinen ersten Versuchen zwar nicht so, wie Sie sie in den Werken bewunderten, die Sie in meinem Atelier gesehen haben, aber doch schon so sprechend, daß meine Amtsbrüder seine Werke erwarben, wie sie nur zu haben waren. Joseph ist kein Geldmacher; daß er seine Sachen zu so billigem Preise abließ, hat ihm noch mehr Abnehmer verschafft. Das war vor drei Jahren. Seitdem ist er als Künstler immer freier und feiner geworden, als Mensch aber blieb er derselbe. Er will nicht mehr sein als ein Bauer, der statt des Pflugs das Schnitzmesser führt. Sie sehen ja, wie einfach er ist. Er hat eine Tochter ans dem Tale geheiratet und hat keine Lust, weiterzuziehn. Als es letzten Sommer beim Ausbruch des Kriegslärms hieß: Fort mit den Deutschen, hat sich gegen ihn keine Stimme erhoben, und trotzdem daß er sich nicht dazu herbeilassen wollte, sich naturalisieren zu lassen, beschloß die Gemeinde, ihn auf ihre Verantwortung ungestört hier zu lassen. Wir sind ja zum Glück weit von Vesoul und von Besan?on, wo die Schreier sitzen, niemand hat ihn verdächtigt, niemand ihn belästigt, und er spricht kein Wort vom Kriege.
Nur eins habe ich für ihn befürchtet: daß das vergiftende Wort Spionage mit seinem Namen in Verbindung gebracht werden möchte. Wie leicht könnte das geschehen! Er hat die Furchtlosigkeit des Arglosen. Ich habe ihn gewarnt, mit versprengten Deutschen oder Schweizern, die es unter den Schmugglern gibt, zu sprechen. Aber die Leute kennen ihn. Man sieht da in seltsame Verhältnisse. Neulich hat ihn ein Deutscher besucht, der in Düte bei einem großen Metzger dient und auf seinen Viehkäufen landauf landab wandert. Denken Sie, dieser Mann ist noch während des Kriegs zu dem Meister zurückgekehrt, bei dem er vorher tu Diensten gestanden hatte. Eine rührende Anhänglichkeit, nicht wahr?
Zum Glück wartete der Geistliche meiue Antwort nicht ab. Hätte er nicht so lebhaft von den Arbeiten des Bildschnitzers gesprochen, so würde er irgend etwas von Überraschung, vielleicht ein Erschrecken auf meinem Gesicht gelesen haben. Im vierzehnten Armeekorps erzählte man sich Wunderdinge von einem Soldaten eines badischen Regiments, der in der Verkleidung eines viehkaufenden Metzgers halb Frankreich während des Kriegs durchstreifte und aller paar Tage mit Nachrichten ins Hauptquartier kam, unter denen angeblich die so wichtige erste über den Transport der Bourbalischen Armeekorps nach Osten war. Mehr als einmal beargwöhnt und verhaftet, hatte er sich immer wieder freizumachen gewußt; er sollte auch bei Belfort wieder Dienste geleistet haben. Ich hatte den kühnen Kundschafter in der blaueu Bluse mit dem großen Huud zur Seite mehr als einmal gesehen, würde ihn sicherlich wiedererkannt haben. Ohne mir Rechenschaft geben zn können warum, berührte mich der Gedanke peinlich, daß er in diesem stillen Dörfchen auftauchen könnte. War das schon ein Schatten, den der von viele» nahegeglaubte Friede vorauswarf?
Ich kannte meinen holzschnitzenden Landsmann nicht, aber es regte sich ein Gefühl für ihn in meinem Innern, dessen Keim Wohl die Befürchtung war, daß es für den fremden Mann nicht heilsam sein könne, sein Geschick zu eug mit deu unklare» Plänen des Geistlichen zu verknüpfen. Sind Phantasten jemals zuverlässig?