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Bilder aus dem deutsch-französichen Kriege : aus dem Nachlaß. 4. Ein zündender Blitz :
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Bilder ans dem deutsch-französischen Kriege

während er sprach, mit einem Ausdruck von Innigkeit, der nichts Gewohnheits­mäßiges hatte, auf dem Bildwerke ruhn.

Mit Recht sagt man, der Krieg sei die Sache der Männer; wir können sogar sagen, der waffenfähigen Männer. Welche große Mehrheit von Frauen, von Kindern, von Greisen, von Kranken ist in jedem Volke dem Kriege abgeneigt. Viele tun, als bestehe diese Mehrheit nicht. Aber wir Geistlichen sind so recht ihre Vertreter, wir kennen sie. Und als katholischer Geistlicher, der stündlich das Bild der schmerzensreichen Mutter und des Kindes mit der Krone des Weltherrschers vor Augen hat, empfinde ich doppelt tief das Unrecht, das der Krieg dieser Mehrheit tut, deren Waffen die Tranen und das Gebet sind. Lassen wir ruhig die reden, die behaupten, der Krieg entfalte erst recht die Eigenschaften, die die Männlichkeit ausmachen. Es sind nicht die besten, die Gott in uns gelegt hat. Das Weib und das Kind stehn dem gemeinsamen Grunde der Menschheit näher, und ebeu deshalb müsseu sie auch meinem Herzen näher sein.

Gerade ihr Deutscheu müßtet die christlichen Franzosen verstehn, sagte er plötzlich abspringend. Ihre Führer haben Beweise von Demütigung vor Gott gegeben. Ich habe mir sagen lassen, Ihr General Werder lese am Wachtfeuer seine Bibel. Wie könnte anch ein solcher Mann seine Verantwortung ohne Glauben an Gott tragen? Vielleicht ist einmal sein Auge auf die Stelle gefallen, wo die Juden auf den Stein Eben-Ezer stoßen, bei dem Samuel spricht: Bis hier hat der Herr geholfen. Vielleicht sagt er sich heute: Versuchen wir den Herrn nicht weiter. Für Frankreich ist das ein Karfreitag, wie er in der Geschichte der Völker selten so dunkel gewesen ist, aber auch er hat seinen Abend, und dann folgt Ostern uud Pfingsten. Deutschland war offenbar berufen, diesen Tag herauf­zuführen. Aber die Vernichtung Frankreichs kann der Wille des Höchsten nicht sein. Vor ihm sind die Franzosen auch als Besiegte ein Volk Gottes. Ich will nicht sagen, daß die Deutschen das nicht seien, aber was die Franzosen für den christlichen Glauben getan haben, muß irgendwo ihnen zugerechnet stehn. Und ihr Posten im Hauptbuch der Vorsehung kann nur wachsen, wenn sie geläutert aus dieser Prüfung Hervorgehn. Er faltete die Hände und sprach mit unmerklich ge­hobnem Ton: An meiner Schwäche vollende sich deine Stärke, und je schwächer ich bin, desto stärker bist du, o Herr. Glaube ich aber fest, so ist deine Stärke auch die meine.

Als ich in den Stall zurückkehrte, schlief meiu Kamerad höchst behaglich unter seinem Mantel, und die Pferde schauten mich freundlich an, als wollten sie sich für den warmen Stall bedanken. Ich setzte mich zu ihnen. Diestille Lebens­lust" geht bekanntlich nirgends so intensiv von den Tieren auf den Menschen über wie in einem warmen Pferdestall. Den Tieren war es wohl, meinem Kameraden offenbar nicht minder, auch mir behagte es in der bräunlichen Dämmerung des alten Holzbaues, dessen dicke Bohlenwände keine Kälte hereinließen. Draußen wehte von den Bergen her ein kalter Wind, der sich feucht anfühlte; der Schnee auf den Dächern und an den Häusern schien zu sagen: Ich liege gut so, es eilt mir keineswegs, wegzuschmelzen.

Als sich der Abend früh herabsenkte, wanderte ich durch das Dörfchen und suchte den kürzesten Weg ins Freie; der einzige betretne führte an neun Bild­stöckeln, ans denen die Leidensstationen des Herrn gemalt waren, zu einer kleinen Kapelle, von der man talaufwärts in abendgrauen Wald und über breite Weiße Flächen hinsah, unter denen wohl Wiesen dem Frühling entgegenharren mochten. Der Abeudhimmel stand kühl darüber, am Horizont topasgelb, oben weiß. Im Westen war die Sonne am Versinken. Der Gedanke, daß so gar nichts von dem Lärm des Krieges, der hinter diesen Bergen noch wütete, hereindrang, beschlich mich halb heimwehartig. Wenn man monatelang in der Gesellschaft von Tausenden marschiert ist, gefochten und gelagert hat, muß man sich an das Alleinsein erst wieder gewöhnen.