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Dentschösterreichische Parteien
Partei gegeben, und die nenen Bildungen nahmen sämtlich einen judcnfeiud- lichen Anstrich an. Da nun die Juden in Österreich zur deutschredenden Bevölkerung gehören, die liberalen Deutschen aber teils grundsätzlich, teils wegen mannigfacher geschäftlicher Verbindungen mit den Juden deren Partei ergriffen, so schied die neue Bewegung die deutsche Bevölkerung abermals in weitere zwei Lager. Die neuen Parteibildungeu schritten nur langsam vorwärts, da ihnen keine Presse von einiger Bedeutung zu Gebote stand, und sie auch an einem unverkennbaren Mangel an befähigten Führern litten. Nur dadurch wurde es erklärlich, daß ein politischer Phantast und Wortprcchlcr wie Schönerer zeitweilig eine Nolle spielen konnte. Die neuen Parteiprogramme waren voll großtönender deutscher Worte, aber sonst im allgemeinen ziemlich dürftig und unduldsam im höchsten Maße. Am meisten zeichneten sich dabei die Schönerericmer aus, die gleich jeden, der nicht unbedingt auf die politischen Luftschlösser ihres Meisters schwor, für einen Verräter an der deutschen Sache erklärten. Was den Agitatoren an reifem Inhalt und an Kraft der Gedanken abging, wurde durch Derbheit des Ausdrucks und Gesuchtheit der Wortbildung ersetzt, wodurch einer den andern zu überbieten und auch zu verdrängen suchte. Hauptsächlich aus diesem Grunde zog sich die neue Entwicklung lange hin, und es schien zeitweilig, als ob die einstige deutschliberale Partei, der auch die gesamte Presse treu blieb, soweit sie nicht gar die Führung hatte, doch schließlich Sieger bleiben würde. Die viele Jahre währende Zerfahrenheit der deutschen Parteien war natürlich nicht geeignet, die Stellung der Deutschösterreicher iu der Monarchie zu fördern, und man begann auf allen Seiten, sie politisch als weniger beachtenswert anzusehen.
Der einzige Führer, der sich durch einen weitern Blick hervortat, war vr. Lueger (der Name wird „Lu-ecker" gesprochen) in Wien. Er begann als Demokrat, und die liberalen Führer versäumten, wie das anderswo auch zu gehn Pflegt, das aufstrebende Talent für ihre Zwecke heranzuziehn, und bekämpften ihn vielmehr mit der unfehlbaren Selbstüberschätzung, durch die sie sich zu allen Zeiten ausgezeichnet haben. Lueger war aber durchaus nicht der Mann danach, sich von Leuten, die in seiner Vaterstadt Wien schon den Boden verloren hatten, auf die Seite schieben zu lassen. Als begabter Demagoge erkannte er bald, daß mit der liberalen Demokratie, die durch die „Judenliberalen" bei der Wiener Bevölkerung schon stark in Mißkredit geraten war, nichts mehr zu machen sei, daß man aber ihre Fehler ausnützen könne. So einigte er das „christliche" Volk unter der Fahne des Antisemitismus, der gerade in Wien einen ergiebigen Nährboden hatte, da die wirtschaftliche Entwicklung zur Zeit der Herrschaft des Liberalismus die Lage des kleinen Mannes unzweifelhaft verschlechtert hatte, während auf der Ringstraße und in andern bevorzugten Stadtteilen die Paläste ehemaliger Armeelieferanten oder später durch Börsenspekulation reich gewordner Juden wie Pilze aus der Erde geschossen waren. Die sogenannte „Berliner Bewegung," die sich auf ähnlichen Grundlagen aufgebaut hatte, erlosch bald wieder, Lueger eilte dagegen mit seiner Agitation, wohl weil sie sich auf günstigerm Boden bewegte, von Erfolg zu Erfolg. Von vornherein verhöhnt und verspottet von