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Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege: aus dem Nachlaß. 3. Dem Hauptmann zuliebe
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Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege

Mein Hauptmann schallte mich wie fragend aus seinen kalten blauen Augen an, und ich fand den Mut, hinzuzufügen: Wenn wir die ausheben dürften, Herr Hauptmann!

Ohne sich zu besinnen, antwortete mein Hauptmann kurz und trocken: Ver­suchen Sie, ob Sie morgen etwas mehr zu melden haben als heute, aber seien Sie vorsichtig.

Ich folgte ihm in respektvoller Entfernung, als er sich rasch zum Gehn wandte. Noch über die Schulter die Frage: Sie haben doch Fühlung rechts und links, Ge­freiter? und nach der kurzen Antwort: Zu Befehl, Herr Hauptmann, links mit dem Schützenzug, rechts mit der ersten Kompagnie, stand ich am andern Eingang unsers Brückenbogens, und hinter mir standen die drei Musketiere, die gerade daheim" waren. Wir schauten uns zufrieden an, der Strenge hatte nichts zu tadeln gefunden. Freilich blieb ihm auch nicht viel Zeit dazu, hatte er doch noch fünf Posten cibzugehn; mir wußten, daß er diese Arbeit gern selbst besorgte, wenn die Kompagnie in einer so exponierten Lage war wie heute. Wie diese Lage eigentlich war, wußte natürlich niemand von uns zu sagen. Ich habe es über­haupt erst aus der Regimentsgeschichte erfahren, die viele Jahre nachher erschienen ist. Wir waren gestern rasch gegen eine kleine befestigte Stadt vorgerückt, hatten dort die ganze Brigade vorgefunden, alles in Bereitschaft, die Dörfer, wo kantoniert wurde, zur Verteidigung hergerichtet: Barrikaden an den Dorfeingängen, Schieß­scharten usw. Was bedeutet das? Die kleine Festung soll mit Handstreich ge­nommen werden, war die Meinung der Kompagniestrategen, als die sich be­sonders einige Avcmtageure und neugebackne Bizefeldwebel auftaten, die so taten, als sähen sie in die Geheimnisse des Generalstabs schon ganz tief hinein. An etwas geringeres als einen Handstreich denken hätten auch wir andern für un­soldatisch gehalten; hatten wir doch die Franzosen bisher noch immer zurückweichen sehen. Wir hatten fest erwartet, daß man am ersten Abend nur die Dunkelheit abwarten werde, um dann von allen Seiten gegen die Stadt vorzurücken, die Tore einzuschießen, worauf sich dann auf dem Markt die siegreichen Truppen vereinigt hätten. Statt dessen waren zahlreiche Feldwachen ausgestellt wordeu, denen ein­geschärft worden war, sich nicht leichtsinnig gegen die Stadt vorzuwagen, wohl aber etwaige feindliche Vorposten dann und wann zu beunruhigen, damit sie weder an unsrer Wachsamkeit noch an unsrer Kampflust zweifelten. Der Zweck des Ganzen war einfach die Verschleierung unsrer Stellung in den Umgebungen der großen alten Provinzialhauptstadt, die drei Märsche hinter uns lag, die Erkundung der Stärke des Feindes auf dieser Seite und so nebenher die Aufhebung einer ganzen Anzahl von Waffen- und Munitionsniederlagen in den Dörfern dieser franktireur­berüchtigten Gegend. Das besorgte an diesen zwei Tagen unsre Kavallerie aufs beste. Ich habe später sagen hören, ein andrer als unsrer Brigadekommandant hätte allerdings einen Handstreich gewagt, es sei auch davon die Rede gewesen, aber die Artillerie sei zu schwach dafür befunden oder gehalten worden.

Einerlei, wir in nnserm luftigen Lager hatten das Gefühl der größten Wichtigkeit und zweifelten keinen Augenblick daran, daß dieser Abend oder diese Nacht irgend etwas Wichtiges bringen werde. Auch jetzt noch, nachdem die erste Nacht fast ruhig verlaufen war nur ein paar Vorposten hatten Schüsse ge­wechselt, hielt dieses Gefühl an. Es wuchs mit dem sinkenden Abend. Die Franzosen konnten sich diese letzten vierundzwanzig Stunden ja auch deshalb so ruhig Verhalten haben, weil sie im Schutze der Dunkelheit einen Vorstoß machen wollten. Wir wollten uns jedenfalls nicht in Sicherheit wiegen. Vorsichtig! war das letzte Wort des Hauptmanns gewesen; es mußte schon sehr notwendig sein, Vorsicht zu üben, wenn er dazu aufforderte, denn für gewöhnlich war nicht das sein Lieblingswort, er war immer vielmehr bereit zu sagen: Drauf, unerschrocken, kaltblütig, entschieden.

Ich hatte dem Hauptmann nachgeschaut, bis er verschwunden war; er mußte