Beitrag 
Im alten Brüssel : (Fortsetzung). 4
Seite
175
Einzelbild herunterladen
 

Im alten Brüssel

175

stummer Zuhörer zwischen den Gästen in der Schenkstube, fing er aber einmal an zu reden, schwieg gleich alles um ihn her, weil er redete wie ein Buch, gewandt und klug; das haftete ihm wohl noch von seinen großen Buhuenrollen an. Und das hatten die Leute gern, einen feinen Schauspieler umsonst diskurieren zu hören; also war Papa Tooue froh über diesen hereingeschneiten Gehilfen. Und auch Fintje war erfreut über den neuen, interessanten Hausgenossen.

Sie hatte es jetzt immer sehr eilig, aus dem Geschäft heimzukommen, und stürmte dann gleich in Oomkes Stube, wo um diese Zeit der schlanke, große Fremde neben dem kleinen Oomke am Tische saß, auf dem immer noch die grün­beschirmte Petroleumlampe leuchtete, und die reparaturbedürftigen Marionetten bunt herumlagen. Der Fremde war nicht so emsig und geschickt mit den Fingern wie Oomke, obgleich er schmale und wohlgepflegte Hände hatte.Faulenzerhände," sagte Oomke verächtlich.Schanspielerhände," dachte Fintje, undSchauspieler­augen," fuhr sie in Gedanken fort, wenn er die scharfblickenden graublauen Augen unbekümmert um das Fortschreiten seiner Arbeit aufmerksam in der Stube umher­gleiten ließ, über Oomke und die Großmutter und über sie selbst. Solche Augen hat er gemacht, wenn er einen kühnen Ritter zu spielen hatte oder einen mächtigen Fürsten oder gar einen liebenden Prinzen, philosophierte Fintje, so scharfe, kluge, liebe Augen. Und sie, die das Erröten bisher nur vom Sagenhören gekannt hatte, senkte tief das blasse Gesichtchen, in das jählings heiße Blntwellen stiegen, sobald diese Augen eine Weile auf ihr haften blieben.

Unwillkürlich dämpfte sie ihre schrille, uugeschulte Stimme, wenn sie zu Jan l'Grand sprach, der immer in einer ruhigen und gesitteten Weise redete und nie gemeine Schimpfwörter gebrauchte. Sie fühlte einen Unterschied heraus im Wesen dieses Fremden gegen das der übrigen Bewohner des Windengangs, wenngleich er nicht besser gekleidet ging als diese. Und auch die Großmutter empfand den Abstand. Sie ließ sich herbei, eingehender mit ihm zu reden und seinen Antworten einige Aufmerksamkeit zu schenken, als läge es ihr nicht gar fern, sich in diesem und jenem von ihm belehren zu lassen, sie, die Hexe, die den Haufen bittrer Er­fahrungen auf dem Herze» lasten hatte und alles tiefer durchgrübelt hatte als die übrige gedankenlose Menschheit um sie her. Und doch war er noch jung, der ihr in manchem Punkte mit überzeugendem Eifer das Gegenteil ihrer Ansichten beizubringen suchte. Schüttelte sie auch den Kopf dazu, sie hörte ihn doch an. Seltsam aber war es, wie sich dieser fremde junge Mensch die traurigen Geschichten der Alten zu Herzen nahm. Verwundert sah Fintje ihn an, wenn sich während des ZuHörens seine Branen wie im Schmerz zusammenzogen, die Stirn sich zorn­voll faltete, uud die Hände sich zu Fäusten krumpften, als habe er, er selbst ver­säumt, das Schreckliche, von dem die Alte erzählte, von den unglücklichen Geschöpfen abzuwenden. Über eins konnten sie sich nie einigen, die Großmutter und der Fremde: der junge Mensch behauptete, das Gesetz sei da zum Schutze der Schwachen, die Hexe aus dem Poucheuellekeller aber erklärte, das Gesetz helfe dem Starken gegen den Schwachen, dem Manne gegen das Weib, dem Vater gegen die Kinder.

Ihr kennt die Gesetze nicht, sie wollen schützen, nicht vernichten, ereiferte sich der junge Mann. Ich Hab Euch aus dem Leben meiner Kinder erzählt, hat das Gesetz sie geschützt? Hat es mich geschützt, als ich, ein schwaches Kind, hinging, um seine Hilfe anzurufen? Hat es die Kinder nicht von den Vätern vernichten lassen? Oder hat es den Männern das Mißhandeln ihrer Frauen verboten? Oder hat es ihnen das Trinken untersagt?

Dann schwieg der wortgewandte Fremde und starrte mit nachdenklichen, trau­rigen Augen vor sich hin. Und der Staat der Marionette, die er in Arbeit hatte, machte keine Fortschritte.

Verächtlich entzog sie Oomke endlich den Händen des Träumers. Faulenzer, Zischelte es dabei zwischen seinen schmalen, blutlosen Lippen.

Oomke konnte den Fremden nicht leiden. Er duldete ihn nur widerwillig in seinem Zimmer, an seinem Tische. Konnte der Komödiant nicht bei den Schwätzern