Beitrag 
Freiligrath in seinen Briefen.
Seite
599
Einzelbild herunterladen
 

599

ihnen sind in sich völlig abgerundete kleine Kunstwerke, nirgends etwas Zerhacktes, Zerrissenes, aber auch nichts Erkünsteltes, Practentiöses, sondern alles in unge­zwungener Leichtigkeit dahinfließend Muster eines gemütlich plaudernde» Briefstils.

In Detmvld, wo neun Jahre vor ihm der unglückliche Grabbe geboren wurde, hatte Freiligmth am 17. Jnui 1810 das Licht der Welt erblickt. Sein Vater, ein Schullehrer, ein einfacher, aber tüchtiger Mann, ließ ihm eine sorgfältige Erziehung zu Teil werden, aber Rücksichten auf eine baldige Ver­sorgung bestimmten ihn, deu befähigten Sohn schon mit dem IS. Lebensjahre dem Ghmuasium seiner Vaterstadt zn entnehmen und nach Soest zu einem Oheim in die kaufmännische Lehre zn schicken. Diese Wendung, die über des Dichters Lebensschicksal entschied und ihn später in einen so tief empfundenen Zwiespalt zwischen seiner äußern Stellung und seinem innern Beruf brachte, scheint ihn cmsangs nicht nnglücklich gemacht zu haben. Ju einem Briefe an einen Schul­freund spottet der neunzehnjährige Jüngling selber über dies Mißverhältnis und sucht sich mit berühmten Vorbildern darüber zu trösten:Wie? höre ich dich rnfen, ein Kübiosaktcs*) und Literatur? Ein im Öl-, Thran-, Herings-, Stock­fisch-, Kaffee- ?c. Duft versauerter Ladenjnnge uud Poesie? Ei mm, Freuud! war nicht Bretzner, der außer vielen andern Operntcxten auch den zu Bclmonte und Constanze dichtete, ein Kaufmann? Ist nicht W. Gerhard, dessen Gedichte (vor­züglich seine Wila oder Übersetzung Serbischer Volkslieder) in den besten kri­tischen Instituten verdiente Anerkennung finden, ein Kaufmann? War nicht Nicolai, der berühmte Nievlai, ein (freilich Buch-) Händler? Also, ich dichte!" Dies geschah aber zunächst mir verstohlen, da die Prinzipale des jungen Kauf­manns dies Poetisiren mißbilligten, so daß er die Soester Wochenblätter, welche die Erstlinge seiner Muße, natürlich anonhm, brachten, verstecken mußte.

Zwei Richtungen gehen in diesen Produkten der Soester Zeit in merk­würdiger Weise neben einander her: eine in Empfindnngs- und Ausdrucksweise sich an die Vorbilder von Hölth und Matthison anschließende sentimentale, so daß Grabbe den junge« Dichter nicht mit Unrechtunsern Matthison" nennen konnte; daneben regt sich aber bereits jene kühne, weit in die Ferne schweifende Phantasie, die bereits den echten Freiligrnth kennzeichnet. Schon das 1826 ent­standene, jetzt die Gedichtsammlung eröffnendeMoosthec" verrät in überraschender Weise die charakteristische Eigentümlichkeit der Freiligrathschcn Lyrik. Mit diesen seinen ureigensten Schöpfungen wagte freilich damals der junge Dichter noch nicht an die Öffentlichkeit zu treten. Er sah sie selber, wie auch noch später, als tolle Überspanntheiten an.Lauter dummes Zeug" nnd ähnliche Urteile über sie kehren öfter wieder. Und bei Überreichung von VachmanusGnnlvda, Westfälisches Taschenbuch für 1833," worin mehrere seiner Gedichte abgedruckt

*) Griechisch: Salzfischhcindler.