Gin Abend bei den musikalischen Meiningern.
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ein Verwaltungspostcn oder gar eine Sineeure sein sollte. In der That: kaum hatte der neue „Intendant" seine Stellung angetreten, so war auch schon von Meiuingen zu hören. Die Hofkapelle führte unter Leitung Vülvws eine Reihe von Konzerten ans, i» denen lediglich Kompositionen von Beethoven vorgetragen wurden: die Sinfonien alle nenn, und um sie herum noch etliche Ouvertüren und Konzertstücke des großen Ludwig. Bülow hatte schon als Pianist seine Programme gern instruktiv im höheren Sinne angelegt und in den Konzerten praktisch Musikgeschichte dvzirt. Jetzt übertrug er diese Methode auch aufs Orchester. Sie ist ja nicht seine Spezialerfindnng, sondern alt und oft erprobt. Sie erfordert nur leider bei den Konzertvorständen nnd beim Publikum zuviel Bildung, um die allgemciue oder auch mir häufig gebräuchliche sein zu können. Wer die treffliche Kvnzertumschau des „Musikalischen Wochenblatts" verfolgt, wird wissen, daß ab und zu doch einzelne Dirigenten auf „historische Konzerte" nnd ähnliche gute Jdeeu kommeu. Nur ist der Unterschied der: bringt ein einfacher Herr Müller, Schmidt oder Schulze die neun Sinfonien von Beethoven, so erfahren und sagen die öffentlichen Blätter nichts davon; Herr von Bülow aber kaun sich nicht an einen Fingernagel stoßen, ohne daß unsre Zeitungen darüber Notizen bringen.
Die Beethovenaufführnngen lockten manchen Musikfreund nach Mciningen. Zu den Sonntagskonzerten richteten die Bahnen Extraznge ein, welche von der nächsten Umgegend her fleißig benutzt wurden. Auch Leipziger nnd Berliner machten sich auf, zu sehen und zu hören. Nun kam aber die Hauptsache. Was sonst »ur bei Privatorchestern untergeordneter Natur Sitte war, das that jetzt die Hvfkapelle. Sie ging auf Reisen. Im ersten Winter von Bülows Amti- rung beschränkten sich diese Ausflüge auf thüringische, fränkische und sächsische Städte, von denen Nürnberg nnd Halle die künstlerisch und numerisch bedeutendsten waren. In der folgenden Saison aber, der jetzt eben verlaufenden, zogen die innsikalischen Meiningcr ihre Kreise weiter bis in den entlegnen Norden. Sie suchten Hamburg, Bremen nnd Kiel auf, und sie verweilten an den Hnupsitzen des musikalischen Lebens, in Berlin und Leipzig. Damit ist offen ausgesprochen, daß die Meininger Hofkapelle in der öffentlichen Musikpflege Deutschlands eine besondre Mission übernehmen, daß sie mit ihren Auf- fühnuigen etwas bieten will, was andre Orchester cntwender durchaus oder zuweilen vermissen lassen.
Diese Mission hat zwei Teile. Der eine, der sich auf die Programme der Konzerte bezieht, wnrde schon oben berührt. Wer es versteht, kann dnrch die bloße Auswahl und Zusammenstellung der Werke das Publikum belehren, heben und erziehen. Und Bülow versteht dies und folgt dem Prinzipe vorurteilslos, selbständig und kvuscqueut. Der andre Teil betrifft die Ausführung der Orchcsterkvmvvsitionen. Das Ziel, welches die Meininger auf diesem Gebiete sich gestellt haben nnd welches sie erreichen, ist Klarheit in der Wieder-