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Die Frau BiKgemeistcnn,
Schwagers in ihr wachruft — sonst bleiben die beiden Hanptströmnngen ihrer Seele fast ohne Berührung mit einander. Man sieht, es ist alles sehr lose und locker angelegt; kein tieferes Problem spannt unser Interesse, kein Hauch einer starken Leidenschaft trübt die Seelen dieser guten Menschen.
Aber selbst wenn der Verfasser durch eine kunstvollere Vcrschlingung der Fäden und eine tiefere psychologische Begründung den Leser etwas mehr für seine Geschichte zu interessiren verstanden hätte, auf die Dauer hätte es ihm kaum gelingen können. Denn solche Herzensgeschichten verlangen unsre ungeteilte Aufmerksamkeit; unser Blick darf von diesen kleinen Dingen nicht durch größere Ereignisse abgelenkt werden; man darf keine erschütternden Begebenheiten daneben stellen, wenn diese Dinge uns nicht als klein und unbedeutend vorkommen sollen. Und in welche Umgebung hat Herr Ebers diesen Stoff gebracht?
Aus dem großeu Kampfe der Niederländer um ihre Unabhängigkeit, aus dem heldeuhafteu Ringen eines kleinen Volkes gegen gewaltige Übermacht, aus diesem erschütternden Schauspiel hat er den ergreifendsten Akt ausgewählt als „Spalier, um das sich die Rauken seiner Erzählung schlingen sollen." Wahrlich, es wäre kein Wunder, wenn die Feuersbrunst des gewaltigen Kampfes die kleinen flackernden Flämmchen dieser bescheidenen Ehestands- und Herzcngeschichten so mächtig überstrahlte, daß sie völlig daneben verschwänden.
Ist das nun wirklich der Fall? Entschädigt nns der Dichter für die Abmin- dcrnng des Interesses an seinen Helden und ihren Herzenstampfeu durch anderes, was er uns dafür bietet? Wenn wir nicht Muße uud Stimmung haben, uns an den kleinen Blüten seiner poetischen Rauken zu ergötzen, wird uns dafür Ersatz durch eine packende Schilderung jener großen Ereignisse? Reißt er nns mit fort in die Begeisterung jener Tage? Zeigt er uns in ergreifenden Bildern das Wüten der Spanier, ihr Brennen und Sengen, ihr Plündern nnd Morden? Führt er uns die fanatische Begeisterung der Holländer vor, jene verzweifelte Stimmung, jenen unbeugsamen Tvdesmut, der seineu Ausdruck findet in jener wilden Prahlerei der Leydener, mit der sie in der Zeit der äußersten Not deu Spaniern zuriefen: „Wir wollen uns jeder den linken Arm abschneiden und essen, und mit dem rechten uns weiter wehren." Sehen wir die Bilder grausamen Elends vor uns, die den Vcrzweiflungskcnnpf der unglücklichen Stadt begleiten, Hunger und Not, Krankheit und Tod? Jene bestialische Erbitterung, die das Herz des getöteten Feindes verzehren will, aber es wieder ansspeit, weil es zu bitter sei?
Wir erhalten freilich eine breite Schilderung der Belagerung, und die einzelnen Stadien des Kampfes machen wir alle mit durch: wir erfahren von den Ausfällen der Bürger (wenn auch nicht von dem Preise, der für jeden Kopf eines getöteten Feindes ausgesetzt war); wir begleiten die Flotte der Geuscu, die den Entsatz bringen soll, von einem durchstvcheneu Damme zum andern,