236
Zwei Faustkoinmcntaro.
von zwei verschiedenen, von Goethe zu verschiedenen Zeiten verfolgten Faust- pläucn. Insbesondere ist Schröer für die Einheitlichkeit des Mcphistopheles, der gleich anfangs als, wenn auch nicht ganz konsequent durchgeführter Teufel aufgefaßt sei, schon einfach deshalb, weil er fo in der Sage, bei Marlowe und im Puppenspiel erscheine. Einen mit diesen übereinstimmenden Zug in Goethes Faust für nicht zum ursprünglichen Plane gehörig zu halten, sei eine unnatürlich erzwungene Annahme. Das will uns nicht einleuchteu. Warum soll der Dichter nicht anfangs von der überlieferten Sage abzuweichen willens gewesen und später doch wieder zu ihr zurückgekehrt sein? Gerade als er fünfzehn Jahre später den „Fadeu" der ihm fremd gewordenen Dichtung mühsam wieder aufsuchte uud, suppliren wir, nicht so recht auffand, war es ganz begreiflich, daß die äußere Macht des traditionellen Sagenstoffes kräftiger ans ihn wirkte als zu der Zeit, wo er innerlich ergriffen sich ihm freier schaltend gegenüberstellte. Der Erdgeist und der Herr im Himmel, Mcphistopheles, als koboldartiger Sendling des erstem dem Faust als Geselle beigegeben , und als Teufel mit dem Herrn um Fausts Seele wettend und mit lctzterm den Pakt abschließend, das sind einander so entgegengesetzte Figuren, daß es schwer hält, sie mit einem einzigen, im großen festgehaltenen Plane des Dichters zu vereinigen. Über die Spure», die diese verschiedenartige Auffassung in dem uns jetzt vorliedcnden Texte zurückgelassen und die Widersprüche, die dadurch entstanden sind, geht Schröer doch zu leicht hinweg. Auch nimmt es Wunder, daß er die Paralipomena zu „Faust," die doch mit Rücksicht auf ursprüngliche Absichten des Dichters vielfach beachtenswert find (insbesondre der Disputcitionsaktus), iu seiner historischen Auseinander- legung in keiner Weise berücksichtigt.
Dies sind einige von den Hauptbedenken, zu denen Schröers Einleitung zum ersten Teil Veranlassung giebt. Man sieht, wie viel immer noch schwankend und unsicher bleibt.
Die Entstehungsgeschichte des zweiten Teils, wo in der Hauptsache nur die Entstehung der Helenaszeuen kontrovers ist, liegt wesentlich klarer und ist von geringerer Bedeutung für die Betrachtung des Ganzen. Schröers Tendenz ihm gegenüber ist eine stark apologetische, wenn er auch nicht so weit geht wie Löper, der ausführt, daß gerade so, wie Goethe den „Faust" weiter geführt habe, er mit Notwendigkeit hätte weiter geführt werden müssen, ja der sogar die ursprüngliche Konzeption der einzelnen Szenen des zweiten Teils mit der Zeit der ersten Konzeption des Gedichts überhaupt zusammenfallen läßt. Die Zeit ist freilich vorbei, wo man mit einigen wohlfeilen Scherzen glaubte, sich über deu ganzen zweiten Teil hinwegsetzen und ihn als unverdaulich ungelescn bei Seite schieben zu können, und müßig und unfruchtbar siud die Ausführungen, wie Goethe seinen „Faust" hätte fortsetzen müssen. Aber den ganzen zweiten Teil mit Schröer ebenso als organisch geworden zu betrachten wie den ersten, vermögen wir nicht; wir glauben, daß doch vieles darin nur gemacht und leider auch Mauier bisweilen