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Zwei Laustkommentare.
er den Beginn einer Niederschrift anch erst später, seit 1773, ansetzt. Die von Scherer (Goethes Frühzeit) aufgestellte Hypothese eines ersten Faust iu Prosa, von denl noch Reste in der einen Prosaszcne („Trüber Tag. Feld.") und in einzeln vorkommenden, jetzt im Druck als rhythmische Ncrse abgesetzten Prosastellen vorhanden seien, verwirft er und ist eher geneigt, diese Prosnstellen für spätere Einschiebsel zu halten. Einige derselben kann man ja in der That leicht entbehren. Aber der prosaische Passus in dem berühmten Glaubensbekenntnis des Faust fügt sich doch so genau iu das Ganze ein, und die darauf folgenden Neim- versc schließen sich so unmittelbar au, daß es schwer hält, sie sich als später eiugeschoben zu denken. Es ist natürlich nicht nötig anzunehmen, daß alle die der frühesten Zeit zuzuweisenden Szenen zuerst iu Prosa verfaßt gewesen seien, aber von einzelnen ist es doch nicht unglaublich; man wird aber annehmen müssen, daß sie sehr bald in Verse umgewandelt worden seien, die daher, worauf Schröer außerdem »och Gewicht legt, sehr wohl das Gepräge eines ersten Wurfes an sich tragen können.
Im wesentlichen nimmt Schröer in der Entstehung des zuerst 1790 als „Fragment" gedruckten Teiles — abgesehen von den in Italien entstandenen Szenen „Hexenküche" uud „Wald uud Höhle" — zwei bis drei Schichten an. Die erste geht ganz auf in dem titanischen Ringen des Faust; nn sie schließt sich unmittelbar an die Liebestragödie „Faust und Grctchen." Die zweite oder dritte Schicht, die Schröer in der Hauptsache erst der Weimarer Zeit zuweist, führt uns nur die rührende Gretchengestalt in einzelnen unznsammenhüngendeu Bildern vor. Ein äußerer Umstand, auf den schon Düntzer aufmerksam gemacht hatte, unterstützt diese Absonderung der „Gretchenbilder"; in ihnen allen nämlich kommt nur die Namensform „Gretchen" vor, während in den übrigen ebenso konsequent die szenarische Anführung „Margarete" ist. Hierin ist entschieden ein zwiefaches Ansetzen zu verschiedenen Zeiten nicht zu verkennen. Nur folgt daraus uicht, daß die Gretcheuszenen erst in der Weimarer Zeit entstanden sein müssen. Aus dieser Zeit, über die wir ja besonders gut unterrichtet sind, läßt sich von ihnen keine Spur nachweisen. Auch sieht man nicht ein, warum der Dichter nicht, wie Schröer will, das Bild des gefallenen und unglücklichen Grctcheus eher könne ausgeführt haben als das des unschuldigen glücklich liebenden, wenn auch die natürliche Ordnung eine umgekehrte ist. Ebenso wie diese Schröersche Aufstellung, ist auch die andere zur Unterstützung seiuer oben dargelegten Ansicht mehrfach wiederkehrende Ausführung, daß in der Zeit der eigenen Gährnng in Goethes Brust neben der Gestalt des titanischen Faust für Gretchen kein Rcmm geblieben fei, doch nur eine subjektive Behauptung, die ohne Beweis bleibt. So einseitig ergriffen brauchen wir uns den Dichter nicht vorzustellen.
Auch die Kerkcrszene, die in dem „Fragment" noch nicht vorkommt, weist Schröer, da ihr die Namensform Margarete eigen ist, der frühesten an die erste Konzeption sich anschließenden Zeit zu, wie er auch das ganze im Fragment