Reichstag und Landtag im neuen Jahre,
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Fürsorge (man beachte Wohl diesen Satz, denn er enthält die eigensten Gedanken des Kanzlers) nach dem Willen des Königs thnt, was thnnlich ist, um den katholischen Unterthanen desselben das Maß freier kirchlicher Bewegung, welches mit dem Staatsinteresse erträglich ist, zu verschaffen." Will das Zentrum dabei nicht mitwirken, so wird die Regierung um so eher warten können, „als sie auf Gegenleistungen nicht rechnet,"
Was die liberalen Parteien angeht, so bekämpfen sie die dislrctionäre Er- mächtigung der Regierung im Hinblick auf die Verfassuugsfrage, die ihnen überhaupt die Regel für die Beurteilung aller andern Fragen liefert, und die, kurz gefaßt, das Verlangen der Liberalen einschließt, daß die Regierung vom Parlament abhängig werde. Der Liberalismus will in tirchcnpolitischen Angelegenheiten keine diskrctivnären Vollmachten, weil er fürchtet, die Regierung könnte sich damit stärken, indem sie die katholische» Wähler mit diesem Werkzeuge für sich stimmte. DaS Zentrum soll, als stets zur Opposition bereit, erhalten bleiben, damit die Regierung schwach uud von der Unterstützung der Liberalen abhängig bleibe, die sich dieselbe dann mit Zugeständnissen abkaufen zu lassen iu der Lage sind.
Die Konservativen endlich möchten, teils aus reiner romantischer Hinneigung zn Rom, teils infolge des Aberglaubens, die römische Politik werde ihre rcak- tivuäreu Bestrebungen fördern, mit Hilfe der ihnen sonst höchst nnshmpathischcn liberalen Parteien die Maigesetze so umgestalten, daß die katholische Kirche möglichst viel Einfluß gewänne.
Überblicken wir das zuletzt über die Hauptparteien des Landtags gesagte, so ist der jetzigen kirchenpvlitischen Vorlage nur iu dem Falle Erfolg zn prophezeien, daß die große Mehrzahl der Kvnfcrvativen ihre Wünsche in der Sache ihrem Vertrauen aus die Politik des Reichskanzlers unterordnet, und wenn das Zentrum, vom Papste angeregt, für den Regiernngscntwurf stimmte. Eine solche Anregung ist keine Unmöglichkeit; denn das System der diskrctivnären Vollmachten kehrt seine Spitze nicht so sehr gegen die Kurie als gegen das Zentrum, und man täuscht sich Wohl uicht, weuu man annimmt, daß dem jetzigen Papste ans mehr als einem Grunde ernstlich an der Herstellung eines guten Einvernehmens mit der preußischem Regierung gelegen ist. Daß Herrn Windthvrst eine von Rom kommende Weisung zum Einlenken und Umschwenken eine frohe Botschaft fein würde, wird schwerlich jemand vermuten, aber gehorchen müßte er ihr bei Verlust seines Ansehens in der Partei.
vw-nzbvten I. 1882.