Bülow in Rom
169
reichischcn Niederlagen und die Zurückhaltung der deutschen Hochseeflotte eine Versteifung der Kriegslagc und ein politisches Übergewicht der Entente in der.ganzen Welt eingetreten, die es für die deutsche Politik nur mehr möglich machte, die dauernde Neutralität Italiens anzustreben. Von vornherein war denen, welche die Welt und die Geschichte kannten (wie wenige waren dies bei uns), klar, daß wir den Krieg, und zwar den für unsere ganze Zukunft entscheidenden Weltkrieg nicht gewinnen könnten, wenn Italien im Frühjahr 1915 an der Seite der Entente dle Waffen erhob. Blieb es neutral, so durften wir noch hoffen. In Rom, nicht auf den Schlachtfeldern der Champagne, Masureus oder der Dardanellen wurde im Wiuter 1914/15 das deutsche Schicksal gemacht. Das fühlten wir, die wir in Rom täglich diese Zusammenhänge erwogen, und es fröstelte jeden von uns im Innersten, wenn wir zu bemerken glaubten, daß die Vorstellungen Bülows in Berlin und Wien mit derselben tatschenen Dämmerhastigkeit aufgenommen wnrden, die unser Hincintorkeln in den Krieg charakterisiert hatte. Wo war der Schutzgcist, der in die Gehirne der Reichskanzlei uud des Reichstags einen Fnnken jener sorgenden Erkenntnis warf, der sie aufrüttelte zu einer Tat? Unter der Zensur, bei der allgemeinen unkritischen Selbstüberschätzung, die bei uns daheim herrschte, war ja nichts anderes zu tun, als schreiben, depeschieren, warnen, bitten, beschwören. Dies tat der Altreichskanzler, der seine Tätigkeit verzehnfachte. Und so tief waren die Hoffnungen der Eingeweihten gesunken, daß uns selbst die dreimalige Ankunst Erzbergers in Rom als das Nahen eines Rettnngsengels erschien. Freilich war für diesen robnsten Schutzgeist die Hauptsache, seine Hände auch hier „mittenmang" zu haben, uud erreicht hat auch er nichts Entscheidendes, obwohl die Wilhelmstraße nur vor ihm, und sonst nichts in der Welt, zitterte. Das Verhängnis nahm seinen Lauf.
Aber welche mögliche Tat, welche Rettung konnte denn Bülow vorzeichncn?
Es gab nur einen einzigen Weg; die nach Kriegsausbruch vou Italien in Berlin angeregten, damals von Bethmann überhörten Wünsche nach einer Kompensation für die österreichische Machterweiterung aus dem Balkan (und damit der Z 7 des Dreibuudvertrages) mußten zur Zufriedcnstellung Italiens erfüllt werden. Es handelte sich nm Zugeständnisse, die für Osterreich schmerzlich, aber in keiner Weise vital waren? um die Amputatiou eines Fingers, um den ganzen Körper zu retten. Es handelte sich, wie der angesehenste, auch in seiner Piemonteser Privatvilla als Führer der Kammer geachtete Politiker Giolitti damals in die Öffentlichkeit warf, um „Einiges" (?areLLriio), nicht Vieles. Es handelte sich vor allein um die Abtretung des welschen Südtirols, ferner um gewisse Autonomieforderungen für Trieft u. dgl. Auf die einzelnen Phasen der mißglückten Verhandlungen einzugehen, würde hier nicht am Platze seiu. Das meiste Tatsächliche ist durch die Rot- uud Grünbücher und die Memoircuvervffentlichungen bekauut geworden, wobei aber ^zu einer wirklichen Geschichtsschreibuug immer noch die wesentlichste Voraussetzung, die Kenntnis der Verhandlungen Sonninos mit der Entente fehlt. Hier soll nur die Atmosphäre dieser Verhandlungen gekennzeichnet werden.
Wenn Bülow vom ersten Tage seines römischen Aufenthaltes jede Faser seiner Kraft an die Erzwingung der österreichischen Kompensationen setzte, so mußte er sich klar sein darüber, ob dadurch die Neutralität Italiens wirklich ver-