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Bülow in Rom
sehr abgeschwächt in Ohr und Gewissen derer, die mit deutlichem Bewußtsein ihrer diplomatischen Schwäche dem verabschiedeten Meister keine persönlichen Erfolge gönnten. Ich will den Schleier über so Unerfreuliches nicht weiter lüften, als nötig ist.*) Kurz, es wurde Dezember, bis der Fürst endlich mit der (beschränkten) Verwaltung der römischen Botschaft betraut wurde. Man wußte, daß Italien im, Frühjahr mit der Kriegsrüstung fertig wäre und dann eine Entscheidung treffen müßte. Man sah an der italienischen Presse äußerlich die Fortschritte der Ententediplomatie in der Gewinnung des Landes, das im allgemeinen überzeugt war, daß Neutralität das Beste, aber auch das Schwerste, das Mitgehen auf einer der beiden Seiten bei längerer Kriegsdauer fast unvermeidlich sein würde. Von deutscher Seite war außer zwecklosen Zeitungsaufkäufen und plumpen Er^bergerpressetelegrammen nichts getan und alles versäumt worden, als gegen Weihnachten endlich Bülow in Villa Malta eintreffen durfte, wie er selbst damals fürchtete, „zu.spät ans Krankenbett .gerufen", welche Befürchtung übrigens seine Energie nicht lahmte, sondern beflügelte.
Wenn im Juli 1914 an Stelle des Lückenbüßers Salandra ein Mann vom Kaliber Cavours oder Crispis Italien regiert hätte, so würde dieses Laud trotz der Fehler Berlins uud Wiens Wohl von sich aus an unserer Seite marschiert sein. Armee und Marine glaubten es nicht anders und wünschten es; nie waren die Beziehuugen der General- und Admiralstäbe enger, vertrauensvoller gewesen. Die, welche nachher den Ausschlag für die Entente gegeben haben, weil sie Neutralität für uumöglich hielten, die Nationalisten einerseits, Sonnino anderseits, forderten um den 1. August, trotz Italiens mangelhafter Rüstung, den Krieg an der Seite Deutschlands. Er hätte den italienischen Hafenstädten schwere Tage uuter euglischeu Schiffskanonen und dem Regno den zeitweiligen Verlust der Kolonien uud vor allem Ernährungssorgen gebracht. Aber mit Recht erwarteten die Kundigen in diesem Falle einen raschen und zerschmetternden Sieg über Frankreich; die Marneschlacht hätte ja, wie allgemein zugegeben ist, ohne die Auflösung der italienischen Alpenarmce trotz allen Schwächen der deutschen Ober-Führung mit einem Sieg des deutschen Heeres enden müssen. Auch konnte man in Rom die Verbannung Tirpitzschen Geistes aus der Hochseeflotte nicht vorhersehcn und durfte also damit rechnen, daß die Briten nicht allzu viele Secstreitkrüfte im Mittelmeer würden verwenden können. Ja es war sogar vorgesehen, die Seeherrschaft im Mittelmeer für die Drcibnndmächte zu erstreben. Die Entsendung von „Göben" und „Breslau" ins Mittelmeer ragt als ein tragisch-romantisches Rudiment dieses Kriegstraumes in die wirkliche Geschichte herein. Als die beiden Schiffe zu dem zwischen den Marineleitungen des Dreibundes verabredeten Stelldichein in Messina eintrafen, sahen sie sich zur Enttäuschung der deutschen wie der italienischen Seeleute aus Bundesgenossen zu unerwünschten. Heimatlosen geworden und mußten, statt unter dem Kommando eines modernen Duilius die Zwingherren von Malta und Gibraltar anzupacken, selbst nach den Dardanellen entweichen.
Nachdem der matte Zögerer Salandra diese Tatsachen, zu denen der Drei- bundvertrag berechtigte, geschaffen hatte, war durch die Marneschlacht, die öster-
*> Erzberger, Erl?l>!nsse im Weltkriege, Seite 2Zf,, genügt zur Charakterisierung des Verrats, der dam.ils d->rch sträflichen Eigennutz an den Interessen des Vaterlandes begangen wurde.