166
Bülow in Rom
uns jetzt als Redaktor des Friedensvertrages bitterlich bekannt geworden., Die Franzosen haben Bülow von jeher studiert und kennen ihn besser, als wir selbst.
Trotz der nebelhaften Vorstellungen der meisten Deutschen über die Gründe unseres Unglücks hat sich doch heute schon ziemlich allgemein die Überzeugung festgesetzt, daß im Juli 1914 der Krieg vermieden worden wäre, wenn nicht der Unverstand des Reichstages im Jahre 1909 den noch heute rüstigen einzigen guten Reichskanzler, den wir nach Bismarck hatten, den Fürsten Bülow, aus dem Amt getrieben hätte. Was weniger bekannt ist und erst durch das Spicker- nagelsche Buch manchem anschaulich werdeil dürfte, ist die Tatsache, daß auch noch im Winter 1914/15 eine ^,faire Chance" zu einer günstigen politischen Wendung des Krieges bestand. Die von Spickernagel abgedruckten Berichte unseres damaligen Militärattaches in Rom^ v. Schwcinitz, geben zum erstenmal eine gewisse Innenansicht der damaligen Vorgänge zwischen Rom und Berlin. Ich kann diese Berichte und die Spickernagclsche Darstellung nicht lesen, ohne meine eigenen Erinnerungen an den Römischen Winter 1914/15 hineinzuflechten. Wir alle, die damals dem Palazzo Caffarelli nahestanden, fühlten, wie uns Fortuna noch einmal ein paar Minuten zu aktiver Gestaltung unseres Geschickes bot, wir fühlten mit zugeschnürter Kehle, wie die vollendete Passivität, Unklarheit und Eifersüchtelei, die in der Wilhelmstraße „regierte", die Zukunft unseres herrlichen, gläubig kämpfenden Volkes in Nichts zerrinnen ließ, und wir klammerten uns mit unseren Hoffnungen einzig an die Persönlichkeit Bülows, die mit äußerster Tatkraft, Fleiß, Beweglichkeit und klarer Einsicht daran arbeitete, unser Geschick zn wenden. Bülow sah wohl den Weg, und wir mit ihm. Aber ihm fehlte die Macht. Die Ohnmacht des allein Tüchtigen gegen stümperhafte Inhaber der Macht, die sie vergeuden, in solcher Krise mitzuerleben war ein. zermarterndes Drama. Und so wie hier, so wurde ja jede deutsche Angelegenheit verpfuscht. Man sah den Glauben des Volkes, die Sie^e des Heeres, die Möglichkeiten rettender Diplomatie, und alles dies war dem Untergang geweiht, weil die amtierende Unfähigkeit nicht zu stürzen war. Denn das, was wohl in der Verzweiflung einer damals ausrief: „Retten können uns nur Schützengräben in der Wilhelmstraße", das war ja bei dem Vertrauen, des Reichstags und Bundesrats in die dem deutschen Philister kongeniale Unheilsgestalt Bcthmcinns nicht ausführbar. So erlebten wir im Winter 1914/15 in Rom das Vorspiel des Zusammenbruchs, den die schlechtgeführte Kraft unseres in Kämpfen so wundervollen Volkes noch vier Jahre hinausgeschoben hat.
Italien hatte sich seit der Tripolis-Aktion von 1911 dem Dreibund innerlich wie äußerlich wieder weit enger angeschlossen. Aus dieser au sich günstigen Entwicklung, die m. E. wesentlich mit der deutsch-englischen Entspannung seit 1912 zusammenhängt, folgerte Bethmann, dessen Erfahrung und Instinkt für römische Politik, wie für Petersburg, Paris und London die Erfahrung und den Instinkt eines durchschnittlichen, im inneren Dienst ergrauten Regierungspräsidenten nicht überstieg, genau das Gegenteil vom Richtigen. Er schloß nämlich daraus, daß von Italien nichts zn besorgen wäre uud daß man europäische, Politik auch ohne Benutzung des Kuriers zwischen der Wilhelmstraße und der Konsulta treiben könne. Man schien ja Italiens Ungefährlichkeit sicher zu sein. Fingerspitzen für den Dreibnndvertrag, für die Abhängigkeit Italiens von der