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Frankreichs Militärpolitik und Europas Freiheit
noch ein Deutscher den Glauben an seines Volkes Zukunft in sich trägt, so lange das deutsche Volk sich nicht willenlos französischer Willkür und französischem Sklavenjoch beugt. Frankreich wird also stets Gründe für den Beibehalt seiner starken Rüstung finden. !
, Deutschland ist entwaffnet, so gründlich entwaffnet, daß selbst Briand iu seiner Kammerrede vom 11. Juli erklären mußte, der Chef der Entwaffnungskommission, General Rollet, habe befriedigend darüber berichtet. Und Deutschland ist, ebenfalls nach den Worten Briands, nicht in der Lage, das Nuhrgebiet für die Herstellung von Kriegsmaterial auszunutzen, weil französische Truppen und Kanonen den Schlüssel der dortigen Lage in der Hand haben. Deutschland hat also, wie die französische Regierung selbst zugibt, nur noch das im Friedensvertrag vorgesehene Heer von 100 000 Mann, nur noch die ihm vorgeschriebene kümmerliche Bewaffnung, keine modernen Kampfmittel, keine Flugzeuge, keine schweren Geschütze. Es hat keine Waffenfabriken, keinen Gencrcilstab, keine Möglichkeit, eine Mobilmachung vorzubereiten und nicht einmal die Möglichkeit, sich gegen Angriffe zu wehren; der Sinn des Friedensvertrages ist selbst über seinen Wortlaut hinaus erfüllt, militärische Kontrollkommissionen überwachen das wehrlose Land.
Und so ist es klar, daß Frankreich von Deutschland keinerlei Gefahr mehr droht. Aber Frankreich braucht diese deutsche Gefahr und ist bemüht, sie mit allen Mitteln der Propaganda in der ganzen Welt und im französischen Volk immer wieder zu verkünden, immer wieder darauf hinzuweisen, wie sehr das „selbst im Siege so gemäßigte Frankreich" unter der Bedrohung durch den Deutschem leide, der noch immer nicht ehrlichen Willens und wahrhaft demokratischer Gesinnung sei. Frankreich braucht die deutsche Gefahr, weil es die Unterhaltung seines starken Heeres damit begründen will, weil es verschleiern möchte, daß es eine extrem militaristische Politik treibt, eine Politik, deren Ziel es ist, die französische Vorherrschaft über Europa unter allen Umständen zu behaupten, die Freiheit der europäischen Nationen dem französischen Machtwillen unterzuordnen und auf seine Machtstellung in Europa gestützt, in der Weltpolitik eine entscheidende Rolle zu spielen. Frankreich sieht sich am Ziele einer Jahrhunderte alten Politik und kein Nebenbuhler soll ihm seine Macht streitig inachen/ „Wer will Frankreich in seiner jetzigen militärischen Lage widerstehen? Wer? Niemand."
Es hätte dieses Wortes nicht bedurft, um, Frankreichs eigentliche Ziele aufleuchten zn lassen. Die Vergleiche mit der Geschichte drängen sich geradezu auf.
- Wie heute, schuf sich Frankreich unter Ludwig XIV. militärische Bündnissysteme im Osten: Schweden und Polen gegen das sich reckende Rußland und gegeil Brandenburg unter dem Großen Kurfürsten, die Türkei und Ungarn gegen Osterreich. Damals wie heute strebte es nach dem maßgebenden Einfluß in den spanischen Niederlanden, dem heutige» Belgien, um England durch den Besitz der Kanälküste und des östlichen Kanaleinganges seine Macht sühlen zn lassen., Und Turenne prägte das Wort^ daß kein Mensch in Frankreich sorglos sein könne/ solange noch ein deutscher Soldat auf dem linken Rheinufer stehe. Der Gedanke von Versailles vor 2-/ü Jahrhunderten! Später sprach dann die Revolution klar aus, daß die Grenzen Frankreichs von der Natur gezogen seien: Ozean, Alpen, Pyrenäen, Rhein. In Napoleon I. trat wieder die Idee der tatsächlichen BeHerr-