Die alte Burschenschaft
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Die alte Burschenschaft und die Aufgaben der Studentenschaft in heutiger Zeit
voll Fritz Hartling
n einem erstaunlich gut ausgestatteten Bande, der von Kriegs- Papiernot nichts spüren läßt, hat P. Wentzcke kürzlich den ersten Teil seiner umfassenden, viele bisher völlig unbekannte Quellen ausschöpfenden Studien über die Geschichte der deutschen Burschenschaft vorgelegt.') Vor- und Frühzeit der Burschenschaft bis zur Katastrophe der Karlsbader Beschlüsse vom Jahre 1819 sind darin behandelt. Daß nicht wie in früheren Bearbeitungen nur Jena, sondern alle deutschen Universitäten — mit Ausnahme der österreichischen, die am geistigen Leben Deutschlands damals keinen Anteil nahmen — in den Kreis der Betrachtung gezogen werden, gibt der Darstellung gelegentlich etwas Ermüdendes und Schleppendes; es ist eine künstlerisch kanm zu bewältigende Aufgabe, die Geschichte von 19 Universitäten nacheinander zu schildern. Und doch läßt sich nur auf diese Weise ein voller Einblick in die bunte Bewegtheit unseres akademischen Lebens gewinnen. Einige Gruppen heben sich deutlich aus der Fülle heraus: zunächst die preußischen Universitäten, an denen sich bereits ein festes Staatsgefühl herausgebildet hat, dann Leipzig und Göttingen, die Träger eines selbstbewußten, nach außen sehr ablehnenden Partikularismus, ferner die erst langsam wieder in das deutsche Geistesleben hineinwachsenden Universitäten des katholischen Südens, endlich die mitteldeutschen Universitäten, unter denen Heidelberg, Gießen und Jena die Führung haben. Diese sind die eigentlichen Träger jener studentischen Reform- bewegung, die im Znsammenhang mit dem allgemeinen Aufschwung der deutschen Universitäten während der letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts den Typus des sauf- und rauffrohen Renommisten durch ein neues studentisches Ideal zu ersetzen versuchten. Aber diese Bewegung, in der bereits während der neunziger Jahre Jena im Mittelpunkt gestanden, an der kein Geringerer als Fichte persönlich mitgearbeitet hat, ist doch ohne greifbaren Erfolg geblieben. Erst das große Erlebnis des Freiheitskrieges, des ersten Krieges, an dem die deutschen Stubenten kämpfend teilgenommen haben, hat den Boden für die sittliche Er» Neuerung der Studentenschaft in der burschenschaftlicheu Bewegung bereitet. Um dessen Vaterschaft stritten sich bisher aus korporativem Ehrgeiz die Korps und die Burschenschaften. Wer beiden Verbänden fremd gegenüber steht, wird diesen Streit, in dem Wentzcke für die Burschenschaften Stellung nimmt, für müßig erklären dürfen. Mit der korporativen Abschließung der heutigen Verbände hat die burschenschaftliche Bewegung von 1815 keine Gemeinschaft; sie ist vielmehr darauf ausgegangen, die gesamte Studentenschaft zu vereinigen und das studentische Leben auf neue Grundlagen zu stellen.
Nach zwei Richtungen hin will die Burschenschaft Neues schaffen. Zunächst will sie das studentische Leben im engeren Sinne veredeln. Ohne alle Mackcrei
Geschichte der deutschen Burschenschaft, von Paul Wentzke, Vd. I Quellen und Darstellungen zur Geschichte der Burschenschaft und der deutschen Einheitsbewegung, herausgegeben bon H, Haupt, Bd. VI), Heidelberg 1919, XlV und 399 S. 1ö M. Grenzboten II 1920 16