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Vcreinswesen und nationale Selbsthilfe
Vereinswesen und nationale Selbsthilfe
von Dr. A. <L. von Loesch
ölkcr sind lebendige Einheiten. Sie entstehen aus dem Dunkel oder aus Mischungen von Resten anderer Völker. Sie blühen auf, breite» sich aus und können untergehen wie Familien nach glanzvoller Geschichte. Was Völker an Leiden und Unterdrückungen ertragen können, ohne zn erlöschen, sehen wir an der Geschichte der Armenier, der Iren und vieler anderer. Man bann einem Volke die staatliche Einheit nehmen, überhaupt jede staatliche Form, wie den Weißrussen, man kann ihm das Lcmd nehmen, die eigene .Kultur, ja unter Umständen sogar die Sprache, ohne daß es unterzugehen braucht, wie die Juden, denen die gemeinsame Religion und eine Jahrtausende alte Geschichte inneren Halt und festen Zusammenhang gab.
Das deutsche Volk hat in seiner gesamten Geschichte niemals oder so gut wie niemals einen eigenen festgefügten Staat besessen, der alle Glieder des Volkes, die im geschlossenen Sprachgebiet siedelten, umfaßte. Bielstaatlichkeit und Schwäche der Zentralmacht im Heiligen römischen Reich deutscher Nation gegenüber dem Landesherrn war immer ein Kennzeichen der Deutschen. Erst das Jahr 1871 schuf ein starkes Deutsches Reich, das freilich weite Gebiete im Südwesten, Süden und Südosten außerhalb der Reichsgrenze ließ.
Die Pariser Friedensschlüsse 1919 belassen von den über 80 Millionen des geschlossenen Sprachgebietes rund 30 Millionen außerhalb des Reiches. Weitere l0 Milliouen sind durch die Abstimmnngs- uud Besatzungsbcstinimungen bedroht. Dazu kommen 20 Millionen Ausländsdeutsche, Reichsdeutsche und Volksdeutsche, die außerhalb der geschlosseneu Sprachgrenze iu fremden Ländern leben. Von 100 Millionen Menschen also, die das gesamte Deutschtum umfaßt, sind nur 40 un reichsdeutscheu Staat notdürftig geborgell. Für den Nest bilden Sprache und Kultur, da unser Volk konfessionell gespalten ist, den einzigen Halt. Er ist eben wegen der Schwäche des Reiches und des deutschösterreichischen Staates im wesentlichen auf Selbsthilfe angewiesen. Diese Selbsthilfe üben die sonst so viel und mit Recht gescholtenen Vereine aus, und so wird die Pflege, Kräftignng nnd Veredlung des Vereinswesens die erste Aufgabe für die nächste Zukunft.
Was Selbsthilfeorganisation leisten kann, haben die Polen bewiesen. Sie schreiben offen, daß ihre Turnvereine, die Svkvls (Falken), der Grundstock ihrer militärischen Organisation waren, nnd heilte noch versuchen sie, sich mit ihrer Hilfe in den Besitz Oberschlesiens, zn dessen Abstimmung sie kein Zutraue« haben, zu setzen. Die deutschen Turnvereine aber, denen solche Ziele völlig fern lagen, verfolgen die Polen, eben weil sie wissen, welchen Feind der preußische Staat in den polnischen Turnvereinen hatte groß werden lassen. Bezeichnend sind auch die Bestimmungen des Versaillcr Vertrages, die sich gegeil Turn- nnd Sportvereine nnd alle militärischeil Übungen wenden. Ebenso verstanden es die Polen, die kulturellen Notwendigkeiten eines eigener Staatlichkeit entbehrenden Volkes in vorbildlicher Weise auf dem Vereinswege zu lösen, wenigstens im preußischen Anteil. Was diese kulturellen Vereine, die Hand iu Hand mit genossenschaftlichen