Die religiöseil Elemente des Rommunismus
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strebt auch bei Lessing einem idealen Endzustand entgegen, nur ist es nicht mehr Christus, sondern die Vernunft, die dann die Welt regiert und das Handeln der Menschen allein bestimmt.
Daß dieser philosophische Chiliasmus das Denken der deutschen Philosophie weiter beherrscht hat, ist bekannt. Auch Kant glaubte an ein Weltreich der Vernunft, das die blutigen Kämpfe der Menschheit beenden und den ewigen Frieden begründen würde. Fichte erglüht mit besonderem Eifer für die Erziehung der Menschheit. Er schreibt dem deutschen Volke einen besonderen Beruf zu, in dieser Erziehung voranzugehen. Hegel bemühte sich, den Nachweis für die Entwicklung Zur vernünftigen Freiheit aus der empirischeu Geschichte selbst zu liefern. Die Empirie hat dann auch Marx als Erkenntnisquelle für seine Lehre herangezogen. Er ist nun wiederum der Umdichter des philosophischen Chiliasmus in einen ökonomischen. Das Reich des Friedens und der Vernunft kann nach seiner Auffassung nur kommen, wenn ein ökonomischer idealer Endzustand, der Sozialis- wus. verwirklicht worden ist. Daß die Menschheitsentwicklung auf diese» Endzustand zustrebe, glaubte er empirisch beweisen zu können. Eine besondere Parallele zum ursprünglichen christlichen Chiliasmus weist der Marxismus noch auf dadurch, daß er einen bestimmten Erlöser kennt. Natürlich ist das nicht eine göttliche Persönlichkeit wie Christus, sondern die Klasse des Proletariats. Darum ist der Klassenkampf des Proletariats zugleich der Vernunft- und Freiheitskampf der Menschheit, und ebenso wie Christus die Messiasherrschaft, steht dem Proletariat die Diktatur zur Herbeiführung des idealen ökonomischen Endzustandes, des Sozialismus, zu. Wenn dann einige Generaüonen ganz und gar in der Umwelt der sozialistischen Wirtschaft erzogen sein werden, dann werden alle Menschen, da ja das Ethos und überhaupt der ganze „ideologische Überbau" stch auf Grund der ökonomischen Zustände stets von selbst ergeben, nur noch nach den Grundsätzen der vernünftigen Freiheit handeln. Dann wird nicht nur die Diktatur des Proletariats überflüssig, sondern überhaupt der Staat. Die Menschen können dann ohne Staatsgewalt in der Form der freien sozialistischen „Gesellschaft" leben. Hier berührt sich das Ideal des Marxismus mit dem Lessings. der eben- Wlls glaubte, daß unter der Vernunftherrschaft am Ende der Menschheitsentwick- Utng eine Staatsgewalt nicht mehr nötig sein würde.
Unsere Betrachtung ging aus von der bolschewistischen Praxis in Rußland, und wir wiesen auf die erstaunliche Tatsache hin. daß, die Bolschewik! die Herrschaft behaupten, obwohl sie längst ihren eignen Grundsätzen schlankweg zuwider handeln. Diese Tatsache erklärt sich daraus, daß der Bolschewismus an Marx glaubt, d. y. ökonomisch-materialistischer Chiliasmus ist, dessen Herkunft aus echt religiösen Spekulationen das Buch von Gerlich sehr deutlich nachweist. Das wnerste Geheimnis der Kraft des Kommunismus ist die Glückseligkeitshoffnung lemer Anhänger, die Religion oder mindestens Neligionsersatz ist. Darum hat der Marxismus für die Kommunisten die Kraft und Bedeutung eines religiösen Dogmas. Und wenn sich nun herausstellt, daß der Erlöser Proletariat für die Ausübung der Diktatur nicht „reif" ist, so kann das dogmatisch gebundene vinmunistische Denken daraus nur die eine Konsequenz ziehen, daß dann eben der — wenn auch noch so kleine — „reife" Teil des Proletariats, nämlich die Partei der überzeugten Kommunisten, wenn's sein