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Die religiösen Elemente des Kommunismus
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Die religiösen Elemente des Ronimunismus

daß es die himmlischen Erlösungshoffnungen des Christentums für einen absicht­lich erfundenen Betrug hielt, um von irdischen Erlösungsbestrebungcn abzulenken. Das irdische Erlösungsbedürfnis, das schon im christlichen Chiliasmus zum Aus­druck kam, blieb nun erst recht lebendig und fand Befriedigung in den Ver­heißungen des Sozialismus. Daß also der Sozialismus mit dem Christentum, speziell dem christlichen Chiliasmus ideengeschichtlich irgendwie zusammenhängen muß, ist ohne weiteres sehr wahrscheinlich. Den Nachweis zu führen, unter­nimmt ein Buch, das Fritz Gerlich der Untersuchung der religiösen Seite des modernen Kommunismus gewidmet hat.^)

Es ist eine bekannte Tatsache, daß Karl Marx der Schüler Hegels, also der klassischen deutschen Philosophie, war. Nach Hegels Lehre ist die Weltgeschichte ein Prozeß des Fortschreitens im Bewußtsein der Freiheit, ihr Ziel die volle Entfaltung des objektiven Weltgeistes zum Bewußtsein seiner selbst. Marx machte die ökonomische Entwicklung zum wesentlichen Inhalt der Weltgeschichte und die Herstellung des Sozialismus zu ihrem Ziel. Damit ist nach seiner Ansicht zu­gleich die volle Entfaltung des Geistes gegeben, denn die geistige Verfassung jedes Zeitalters erscheint ihm nur als der ideologische Ueberbau der jeweiligen öko­nomischen Verhältnisse. Seinen ganzen Entwicklungsgedanken und übrigens auch noch seine Auffassungen über den dialektischen Mechanismus des Gsschichtsablaufs hat Marx von der deutschen Philosophie übernommen. Das Kernstück des Gerlichschen Buches befaßt sich nun Mit dem Nachweis, daß unsere klassische Philosophie den Entwicklungsgodanken der Weltgeschichte ihrerseits aus dem christ­lichen Chiliasmus übernommen hat. Durch den Württemberger Joh. Albrecht Bengel und seinen Schüler Crusius, der 1730 einen Lehrstuhl in Leipzig erhielt, gewann der Chiliasmus Boden in der wissenschaftlichen protestantischen Theologie. Der Menschheitsgeschichte liegt nach dieser Auffassung ein göttlicher Neichsplan zugrunde. Ihr Ziel ist die Aufrichtung eines irdischen Reiches Christi, in dem alle weltlichen Reiche schließlich aufgehen werden. Die Quelle solcher Erkenntnis ist die biblische Offenbarung. Das Ansehen der biblischen Offenbarung war im gebildeten deutschen Bürgertum des 18. Jahrhunderts noch sehr groß, und dem pädagogischen Eifer und den humanen Idealen der Zeit entsprach gar sehr der Gedanke, daß Gott die Menschen für sein dereinstiges Reich auf Erden erziehe. Dieser Neigung paßte sich darum auch der von England und Frankreich her ein­dringende Rationalismus an. Nur verwarf er bekanntlich die biblische Offen­barung als Erkenntnisquelle und ersetzte sie durch die Vernunft. Auch sprach er nicht mehr von der Erziehung der Menschen für das Reich Christi, sondern viel­mehr für ein Reich der Vernunft, das auf Erden errichtet werden müsse. Der Vorkämpfer gegen den biblischen Offenbarungsglauben ist Lessing gewesen, und gerade er hat ja anderseits den Gedanken derErziehung des Menschengeschlechts" für ein zukünftiges Reich der Vernunft mit Eifer vertreten. Da Lessings großes Interesse für die Theologie außer Zweifel steht und Gerlich direkt nachweisen kann, daß er die christliche Theologie von Bengel und Crusius gekannt hat, so hat er wohl recht, wenn er Lessing als den Umdichter der Ideen des christlichen Chiliasmus in einen philosophischen bezeichnet. Denn die Menschheitsentwicklung

2) Dr. Fritz Gerlich, Der Kommunismus als Lehre vom tausendjährigen Reich. München 1920, Hugo Brückmann. Geh. 7 M,, geb. 10 M.