Au den geplanten Reichssteuern auf das Einkommen
von Regierungsrat m. Lonrad
II. '
«zwischen sind die neuen Steuergesetzentwürfe der Nationalversammlung zugegangen, Sie erfordern noch eine weitere Beleuchtung, als sie im Aufsatz der Nummer 49 der Grenzboten gegeben ist
Was das Einkommensteuergesetz betrifft, so soll zunächst noch ^ auf einige Sonde, fragen eingegangen werden, wenn auch eine ins AeillU gehende Besprechung, die den Entwurf cinigermaken erschöpft, über den Zahmen dieses Aufsatzes hinausgehen würde. Was die Begründung des Entwurfs anbelangt, so macht er in unserer Situation einen eigenartig weltfremden Eindruck. Sie gibt sich mit einem großen Rüstzeug theoretischer Erörterungen, ^ügt die verschiedenen in der Literatur aufgestellten Ctcuertheorien gegeneinander ^ und kommt regelmäßig aus diesen theoretischen Erwägungen zu ihren ^chlußforderungen, während doch in den wichtigeren Einzelfragen es den Anschein hat, als ob nur ein Gesichtspunkt bestimmend ist: In welcher Weise sich der höchste Steuerertrag herauspressen? An den in unserer Lage doch allein wichtigen praktischen Fragen geht sie mit merkwürdiger Konsequenz vorbei. Mr den Eilaß von^ Gesetzen dürfen doch nur in ganz beschränktem Maße theoretische Erwägungen bestimmend sein. Die Schöpfung der Theorie eines Gesetzes nachher Sache der Wissenschaft und Rechtssprechung, um für die Ausfüllung ^r unvermeidlichen Lücken jedes Gesetzes der Rechtssprechung die feste Richtschnur «u geben. Die Schöpfung des Gesetzes selbst.aus rein theoretischen Erwägungen ^'hrt meist zu einer Vergewciliigung der Praxs, und hinterher steht man im ^beu vor praktischen Konsequenzen, die erschreckend wirken. Waren aber tat- Urchlich bei dem Entwurf eines Gesetzes praktische Erwägungen maßgebend und werden sie in der Begründung gleichwohl vorwiegend aus theoretischen Gesichts- VUiikien gifolgert, so wirkt das a!s Verschleierung, die den gesetzgebenden Körper- '")asten den wirklichen Einblick in die Trugweite des Ges.tzes erschwert, wenn nicht unmöglich macht. Besonders bedenklich ist das jetzt in unserer Situation "Ud bei Gesetzen, die, wie die vorliegenden, eine völlige Umgestaltung unseres Aousroirtschaftslebens zur Folge huben. Wir wollen alle aus unserer furchtbaren ManzieiZen Not heraus. Bei keiner Partei ist der Wille vorhanden, dem entgegen A arbeiten. Darum war, wenn überhaupt je. so hier, es unbedingt erforderlich, ritt aller Energie bei jeder Einzelbestinmiung die praktische Tragweite voran zu retten und ih e Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit eingehend klar zu legen. Dazu vor allen Dingen erforderlich, an der Hand des gesamten, der Regierung su Gebote stehenden statistischen Materials eine eindeutige Bckanz unserer Volks-
Grenzboten IV 1910 24