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Das werdende Rußland
demselben Maße konnten seine Günstlinge über die Rechte der Kosaken selbst hinwegschreiten, die ihren Privatinteressen im Wege standen. Um sich in seiner Stellung zu erhalten, hat der Hetman alles vermieden, was ihn mit den Mächtigen aus Petersburg entzweien konnte, und hat sich schließlich nicht gescheut, das höchste Gut der Kosaken, ihre Freiheit, feige preiszugeben. Menschikow hatte mehrere Dörfer mit einigen tausend Seelen Bauern zum Geschenk erhalten. Zwischen diesen Dörfern lagen die Siedlungen eingestreut, auf denen die Kosaken als Angehörige der Kriegerkaste frei wirtschafteten. Menschikow wünschte auch die Kosaken in Hörigkeit zu nehmen und stellte ein entsprechendes Ansinnen an den Hetman, der es ihm zunächst abschlug. Doch hatte er davon so viel Unannehmlichkeiten, daß er beschloß, einen Weg ausfindig zu machen, um die Ansprüche Menschikows zu befriedigen. Er schrieb an die zuständige Behörde der Kosaken: „Nachdem Menschikow in Eurem Bezirk Bauernseelen zugewiesen erhalten hat, wird sich Eure Lage recht unbequem gestalten, sofern Ihr als Kosaken im Staatsdienst verbleibt. Um Eure Lage zu erleichtern, seid Ihr hiermit aus dem Heeresdienst entlassen und in die .Hörigkeit und den Besitz' des Fürsten Menschikow über- führtl" Zehn Jahre mußten die Kosaken kämpfen und Klage um Klage nach Moskau schicken, ehe sie wieder frei wurden.
Auf solchen Wegen entstand eine auf den großrussischen Staatsgedanken eingeschworene Oberschicht in der Ukraina, die sie materiell und politisch nach Kräften ausgeplündert hat.
Der berüchtigte Graf Golowkin, Fürst Dolgorukow, Schastrow, sind ihre bekanntesten Vertreter aus der Zeit Skoropadskis. Zu ihnen gesellten sich dann noch Flüchtlinge oder Einwanderer aus der Moldau und aus Polen, die auf Befehl des Zaren reich mit Land ausgestattet werden mußten. Die Kantaku- , zeno, Miloradowitsch, Sawin und andere sind aus diese Weise nach Rußland gekommen und Träger der großrussischen Staatsidee geworden.
Der Hauptfeind des Hetmans war der Kijewer General-Gouverneur Fürst Golizin. Seine demoralisierende Politik motivierte er dem Staatskanzler Golowkin gegenüber mit dem Satz: „wenn das Volk erst erkennt, daß der Hetman keine solche Macht besitzt, wie Mazeppa sich hatte, wird es mit Denunziationen kommen". Und er behielt recht. Die Klagen mehrten sich, aus Verdächtigungen wurden Verleumdungen. Aber alles wurde in Moskau unterschiedslos gern gehört, während der Staalskanzler beruhigend an den Hetman schrieb, daß der Zar von seiner Treue und Ergebenheit überzeugt sei. Als aber 1715 Klagen über angebliche Eigenmächtigkeiten der Kosakenobersten sich mehrten, befahl der Zar kurzer Hand deren Befugnisse zu beschneiden, und ihnen das Recht, sich die Unterorgane selbst wählen zu dürfen, zu nehmen. Der kaiserliche Ukas hatte die von Golitzyn vorausgesehenen Folgen: die Obersten empörten sich gegen ihren Hetman, wählten unter sich einen anderen und verbreiteten einen Aufruf, indem es u. a. hieß: „Der gegenwärtige Hetman ist ein friedliebender Mensch; für die Ukraina einzustehen, vermag er nicht; wer es auch sei, alle rauben. . .. Nicht Mazeppa — der verfluchte Judas, sondern der gegenwärtige verfluchte Hetman ist es, der nicht für die Ukraina einsteht, während die Moskals sie ausrauben". Gleichzeitig beschwerte sich das Volk über die Übergriffe der Obersten und machte den Hetman dafür verantwortlich, daß er ihnen in seiner Schwäche nicht Zzu wehren vermöge. In der
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