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Deutsche Flurbereinung : Geschichtliche Erinnerungen - politische Mahnungen. 4. Das alte und das neue Mitteleuropa
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Deutsche Flurbereinigung

Deutsche Flurbereinigung

Geschichtliche Erinnerungen politische Mahnungen von Dr. Paul ZVentzcke

4. Das alte und das neue Mitteleuropa.

er den Begriff der Flurbereinigung ganz wörtlich auf die Bedürfnisse uuserer Außenpolitik ausdehnen will, wird zunächst an Arrondierung und Abglättung der zerrissenen deutschen Grenzen im künftigen Friedensschluß denken. Gewiß warten auch hier drängende Auf­gaben, deren Lösung unsere militärischen und wirtschaftlichen Gencral- stäbe mit Kraft und Einsicht vorzubereiten haben. Aber ent­scheidend sind doch allein die ganz großen Probleme: Wie in der inneren Flurbereinigung" die preußische Wahlrechtsreform am schärfsten und anschau - lichsten den uralten Streit zwischen ReichsgedaNken und Territorialstaat verkörpert, wurzeln die Leitworte von nritteleuropäischer'Gemeinschaft im deutschen Traume einer Synthese von Weltbürgertum und Nationalstaat.

Eilfertige Federn haben wohl versucht, die Grundlagen dieses Gedankens bis in die Aufzeichnungen und Meinungen deutscher Denker jahrhundertelang, zum mindesten bis in die Ideenwelt von Gottfried Wilhelm Leibniz zurück zn verfolgen. In Wirklichkeit ist von einemMitteleuropa", wie wir es heute zu bilden versuchen, weder bei ihm noch bei seinen Epigonen die Rede. Laut und vernehmlich klingt nur die Vorstellung vom weltgebietendenrömischen Reich deutscher Nation" nach, wo allzu empfängliche Ohren denUnterton" des mittel­europäischen Gedankens zu hören meinen. Erst nachdem das alte- deutsche Kaisertum endgültig verschwunden war, konnte auf den Trümmern seiner politisch- wirtschaftlichen und religiös-philosophischen Machtstellung der neue Begriff ent­stehen, der bereits in der großen Krisis der deutschen Revolution von 1848 lebhaft genug pulsiert. Um denMikrokosmos" der thüringischen Einheitsfrage fügte sich damals im Gewirr der Publizistik, wie wir schon hörten, das feste Band der klein­deutschen, bundcsstaallichen.Einigung- Im konzentrischen Kreise schlingt sich darüber der Gedanke des deutsch-österreichischen Staatenbunoss, dem sich als Trabanten die herabgefallenen Blöcke der mittelalterlichen Kaiserburg, die Pufferstaaten im Westen und Norden, anschließen sollen. Aber die letzte Vollendung fehlt bereits dem kunstvollen Bau solcher Ideen. Der Gedanke an dieVereinigten Staaten von Europa", der ebenfalls auftaucht, wird durchbrochen von der Erkenntnis, daß die wirtschaftliche Zukunft des mitteleuropäisch-deutschen Staatenbundes im Osten liege. Im Kampf gegen den englischen Freihandel Hütte ja Friedrich List schon zwei Jahrzehnte zuvor die überquellende Kraft der großdeutschen Gedanken auf den Weg zur Türkei gewiesen, wo sich neue Einflußgebiete eröffneten. Das so modern anmutende SchlagwortBerlinBagdad" ist 1848 deutlich vorgebildet in der Hoffnung, in Anatolien <siedlungsland für deutsche Kolonisten zu gewinnen.

Der Keim neuer fruchtbarer Gedanken wurde damit gelegt, aber der Weg znr Tat war noch weit. Selbst der gegenseitige Anschluß von Deutschland und Osterreich blieb, wie ein wackerer Deutsch-Böhme damals mit Recht hervorhob, vorerst nochein neuer, in der Geschichte unbekannter Begriff". Der ideale Einheüsgedcmke, der die Deutsch-Österreicher nicht aus dem emporwachsenden Reiche ausschließen wollte, hemmte im Jahre 1848 die Ausbildung der in ferne Zukunft weisenden Ideen. Es ist nicht anders: erst der Bruderkampf von 1866, der scheinbar die deutsche Volksgemeinschaft auf ewig zerriß, schuf die Möglichkeit, die Grundmauern, ans denen sich der große Neuban sicher und fest znr Höhe er­heben tonnte, in unberührtes Gestein zu schlagen. Als Bismarck dann vier Jahre später dem neuen Reich durch die Einverleibung Elsaß und Lothringens eine ewige Fron auferlegte, die seine Außenpolitik von vornherein und in jeder Welt-