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Deutsches Leben in Riga zu Herders Zeit
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Deutsches Leben in Riga zu Herders Zeit

von Dr. w. Warstat

>rst der Krieg hat das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit mit ! den russischen Ostsceprovinzen in uns neu wachgerüttelt. Er läßt uns mit lebhafter Erinnerung gerade an alle die Zeiten denken, da der geistige Zusammenhang, das Hinüber- und Herüberfluten ^ geistiger Kräfte zwischen uns und jenen Vorposten deutscher Kultur besonders lebendig war, da jene mit Freuden den Trägern des deutschen Geistes bei sich eine gastliche Stätte bereiteten und bedeutende Männer reichsdeutschen Ursprunges dort oben sich wohl fühlten und für ihr ganzes Leben bleibende Eindrücke von dort mitnahmen.

Zu diesen Zeiten gehört vor allem das Zeitalter Herders, jene Jahre, in denen Herder selbst (1764 bis 1769) in Riga als Lehrer und Prediger wirkte, da ferner sein Freund Hamann, derMagus des Nordens", auf einem baltischen Gute eine Hauslehrerstelle innehatte, und da endlich Herders Ver­leger, der Buchhändler Hartknoch, seinen bekannten und bedeutenden Verlag von Königsberg hinauf nach Riga verlegte. So kommt es. daß so bedeutsame Erscheinungen aus der deutschen Literatur jener Zeit, wie HerdersFragmente zu den Briefen die neueste Literatur betreffend" und dieKritischen Wälder", endlich späterDie älteste Urkunde des Menschengeschlechts" den Druckort Riga aufweisen.

Wenn wir nun diese verhältnismäßig kurze Spanne Zeit aus dem reichen Leben Herders einer Betrachtung unterziehen, so erhalten wir zugleich einen guten Einblick in das deutsche Leben Rigas zu jener Zeit. Begleiten wir also Herder nach jenemGenf unter russischem Schatten", wie er Riga später einmal genannt hat!

Der junge Ostpreuße, der seit 1763 als Lehrer am LoIIeZium ^näerieianum in Königsberg wirkte, erhielt auf Empfehlung von Freunden im Jahre 1764 vom Magistrate Rigas einen Ruf als Lollaborator an die altehrwürdige Domschule der alten Hansestadt. Herder fand in ihr ganz andere politische und gesellschaftliche, wirtschaftliche und geistige Zustände vor, als er sie bisher gewohnt war. Der verschlossene und linkische Mohrunger Kantorssohn hatte seine Knabenjahre in gedrückter Lage als Schreiber des Diakonus Trescho zu­gebracht, hatte sich durch seine Studienjahre in Königsberg schlecht und recht durchgehungert, und erst nach seiner Anstellung am Friedrichskollegium war