Beitrag 
Stadt und Land : "Er hat es schier vergessen, was wir einander sein!"
Seite
72
Einzelbild herunterladen
 

72

Stadt und Land

menschlich schön, aus Gründen einer höheren Staatsoernunft aber in unserem Falle geradezu ein Verbrechen. Ich betone hier ausdrücklich, daß ich mit diesem Satz nicht gegen die Hindenburgspenden und Ähnliches eifere sie sind selbstverständliche Pflicht, meine Gedanken umfassen nur die tatsächlich verlangten Opfer, die eine Behinderung der Erzeugung bedeuten. Die Richtigkeit dieser Gedanken hätte eigentlich jedem Deutschen von dem Augenblicke an klar sein müssen, da England den Plan des Hungerkrieges offen aussprach. Der Weitblick unserer Heeresleitung erkannte das sofort und trug dem durch die Bebauung des feindlichen Landes Rechnung, die Masse des Volkes erkannte das nicht, ja es ist sehr zu bezweifeln, ob die leitenden Stellen unserer inneren Wirtschaft allezeit sich völlige Klarheit über die vernunftgemäße Grenze der landwirtschaftlichen Leistuugspflicht und der tatsächlichen Leistungsfähigkeit be­wahrten. Nur aus der völligen eigenen Unklarheit jener Stellen ist die Ver­säumnis einer eingehenden Volksaufklärung über das Wollen, Können und Tun der Landwirtschaft zu verstehen und zu entschuldigen; sonst wäre kein Tadel scharf genug, um die Lässigkeit zu kennzeichnen, mit der man tatenlos der Hetze gegen die Landwirtschaft zugeschaut hat.

Inwieweit beruhen die unablässig erhobenen Vorwürfe auf Tatsachen? Hat die Landwirtschaft ihre gewaltige Aufgabe: die Ernährung eines Achtund- sechzigmillionen - Volkes jetzt im Kriege unter fast völligem Abschluß vom Weltmarkt zu lösen versucht? Mit welchen Schwierigkeiten hat sie dabei zu kämpfen?

Es kann nicht meine Absicht sein, auf die einzelnen Behinderungen ein­zugehen, denn ihre Zahl ist fortwährend aus einigen falschen Grundmaßnahmen heraus so gewachsen, daß ihre Aufzählung nur ermüden und bei Nichtfachleuten den Eindruck übelwollender Kritikasterei erwecken würde. Ich beschränke mich also nur auf eine Darstellung der Zusammenhänge. Ohne jeden Umschweiß sei zugegeben, daß sehr viele Landwirte und Landwirtsfrauen ihrer Nächsten­pflicht nicht fo nachgekommen sind, wie sie das hätten tun können, genau wie auch in den Städten die Nächstenliebe nicht immer Triumphe feiert.

Ist man berechtigt, all' solche unschönen Geschehnisse dem Stande als solchem zur Last zu legen? Jeder Stand hat üble Vertreter vorzuweisen, also auch die Landwirtschaft. Die Beurteilung der Landwirtschaft bezüglich ihrer sittlichen Kräfte geschieht aber überhaupt stets von gänzlich falscher Grundlage aus. Jeder urteilt nach dem vertrauten Maßstabe seines Standes, ohne, zu be> denken, daß sein Stand nur einen kleinen Ausschnitt des gesamten Volkstums bedeutet, erwachsen auf einer ziemlich einheitlichen Grundlage geistiger und be­ruflicher Bildung aller seiner Genossen. Es entbehrt im allgemeinen nicht einer gewissen Berechtigung, wenn man bei allzu häufiger Wiederkehr des gleichen Fehlers diesen dem ganzen Stande zur Last legt. Anders bei unserem Beruf. In ihm ist unter der gleichen Kennmarke alles vertreten von der höchsten Bildung qes Geistes, des Wissens und der praktischen Arbeit bis zur völligen Stumpfheit