Napoleons Kampf gegen England im Lichte der Gegenwart
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schreiben: „Diese Russen, diese Österreicher, diese Türken, diese Neapolitaner sind ja nichts anderes als englische Soldaten, denen ihre Führer täglich in ihre verschiedenen Sprachen die Befehle übersetzen, die ihnen das Kabinett von St. James zusammen mit ihrem Sold zugehen läßt." Der Erfolg im Kampf der beiden größten Gegner war eben in erster Linie bedingt durch das Gewinnen starker Mächte als Verbündete. Der englischen Diplomatie, die mit Verstellung. Fälschung. Bestechung zu arbeiten sich nie gescheut hat, ist auch vor einem Jahrhundert diese Aufgabe nach zähen Kämpfen voll und ganz gelungen.
Es ist als das bleibende Verdienst des jungen Historikers Otto Brandt, die umfassende Napoleonliteratnr der Lenz, Noloff. Philippson, Driault. Rose, Fournier. Coquelle und in Sonderheit das welthistorische Verhältnis des Korsen zur englischen Weltmacht durch erstmals angeführtes Quellenmaterial und tiefschürfende wissenschaftliche Analysen zu neuer Bedeutsamkeit und Aktualität emporgehoben zu haben. Für England galt — wie Brandt in seinem Werke, dem er den Titel: „England und die Napoleonifche Weltpolitik (1800—1803)" gibt (Verlag von Carl Winter, Heidelberg. 1916, Preis 6 M.), nachzuweisen unternimmt — wie jede, so auch eine französische Hegemonie auf dem Kontinent, die sich hier nur als die natürliche Folge des Friedensvertrages von Amicns herausgebildet hatte, als schwerste Verletzung des obersten Prinzips seiner auswärtigen Politik, der Ausrechterhaltung des europäischen Gleichgewichts. Und die große Gefahr, die schon allein in der Tatsache des Emporkommens und der Erstarkung Frankreichs gegeben war, mußte für England noch weit empfindlicher und drückender werden, wenn dieser französische Zug nach realer Macht sich nicht mehr auf den Kontinent allein beschränkte, sondern in der ganzen Welt sich durchzusetzen suchte, wenn er zugleich sich in einer rücksichtslosen und systematischen Kolonial- und Handelspolitik äußerte. K. Kjellön charakterisiert die Psyche dieser auswärtigen Politik Englands in treffenden Worten: „Verbindung zwischen England und schwächeren Staaten auf dem Kontinent gegenüber dem stärksten. Dies ist das Geheimnis der englischen Staatskunst, das direkt der Jnsularität und Struktur des Reiches entsprungen ist, nämlich, sich auf diplomatischem Wege einen oder mehrere .Kontinental- degen" zu verschaffen, die in ihrem eigenen Interesse Englands Kämpfe ausfechten, bis das europäische Gleichgewicht wiederhergestellt — und Englands Planetarisches Übergewicht gesichert ist." Und dies ist in der Tat die sesteste und gewichtigste Tradition der auswärtigen Politik des englischen Weltreiches der neueren Geschichte.
Vor offenen und versteckten Brüchen von Rechtsverträgen, vor Nichtbeachtung eingegangener Verpflichtungen, vor Verletzungen von Rechten anderer Staaten aber schreckte das England der napoleonischen Ära genau so wenig zurück wie das zeitgenössische. Es fiel den von ihrer Regierung instruierten Offizieren der britischen Truppen, die Malta besetzt hielten, nicht ein. Befehl Zu erteilen, dieses gemäß dem Friedensvertrage von Amiens zu räumen. Durch