Die Industrialisierung des Landes
von vr. L. G. Zitzen
ie Frage der Dezentralisation der Industrie bildete schon in Friedenszeiten ein oft erörtertes und vielumstrittenes Problem. Anlaß zu diesen Erörterungen bot die stetig fortschreitende Zusammenballung der Industrie an bestimmten Plätzen und der damit verbundene unaufhörliche Drang zur Großstadtentwicklung. Lange Zeit galt der Satz von der industriellen Anziehungskraft der Städte als ein Dogma, und in der Zeit der geringeren Ausbildung der Verkehrsmittel hatte dies auch seine gewisse Richtigkeit. Heute aber ist die Industrie nicht mehr naturnotwendig an die Großstadt gebunden. Wir haben heute durch ganz Deutschland ein ausgedehntes elektrisches Stromnetz und ein dichtes Eisenbahnnetz, das sich durch Angliederung von Anschlüssen bequem erweitern und verzweigen läßt. Ferner hat sich unsere Industrie von der Grobarbeit, die sich mehr an die Masse anlehnte, immer mehr zur Gewerbekunst, zur Kunstindustrie entwickelt. Infolge dieser Veränderungen hatte sich in den letzten Jahren hier und da auch schon eine merkliche Neigung zur Dezentralisation und zum Abbau der Großstadtbildung zugunsten des platten Landes und der Kleinstädte erkennen lassen. Die Staatspolitik lieh dieser Entwicklung ihre Unterstützung durch Ausbau von Nebenbahnen, durch Inangriffnahme von Kanalbauten, durch Verlegung von Garnisonen in Kleinstädte usw. Die Gefalle der Flüsfe, die Stauung der Gebirgswässer, die Talsperren und ähnliche Anlagen suchte man zur Erzeugung billiger Betriebskräfte für industrielle Zwecke nutzbar zu machen. Manche Landgemeinden waren mit Eifer bestrebt, Industrien auf das Land hinüberzuziehen. In den Zeitungen fanden sich oft verlockende Angebote für industrielle Unternehmungen. Häufig wurden den Unternehmern auf dem Lande billige oder selbst unentgeltliche Bauplätze angeboten, vielleicht gar Steuerfreiheit für einige Jahre. In einigen ländlichen Gegenden haben sich sogar eigene Vereine zur Industrialisierung des Landes gebildet, so z. B. der Verein zur Industrialisierung der Eifel. Infolge der gebotenen Gelegenheiten haben einige Unternehmer ihren Betrieb bereits auf das Land hinaus verlegt, andere haben sich zur Ansiedlung von Zweigbetrieben auf dem Lande entschlossen.
Bei der Erörterung des Wiederaufbaues und der Neuordnung unseres Wirtschaftslebens nach dem Kriege ist nun auch die vermehrte Dezentralisation als eine der nächsten Aufgaben unserer künftig in Angriff zu nehmenden