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Volkswille und Kriegführung
zu bezeugen, daß der Ausbau der deutschen Flotte einem spontanen Wunsch und lebhaften Interesse der Mehrheit des deutschen Volkes entsprach und daß die Bewegung dafür in die Breite und Tiefe ging, war es damals die Marineverwaltung, die sich durch diese anscheinende Zügellostgkeit der Wünsche auf das stärkste beunruhigt fühlte und ihre ganze Autorität daran setzte, um den Deutschen Flottenverein wenigstens nach außen hin als zahmes und gehorsames offiziöses Instrument erscheinen zu lassen und dadurch den Eindruck einer selbständigen, starken Volksbewegung zu verwischen. Daß dies für unsere Englandpolitik nicht günstig wirkte, kann man heute ja ruhig zugeben. Aber damals fanden die amtlichen Stellen die eifrige Unterstützung gerade auch solcher Parteien, Bevölkerungskreise und Preßorgane, die heute den Acheron in Bewegung setzen, um eine Volksbewegung zustande zu bringen, die die angeblich zaghafte Regierung vorwärtstreiben soll. Dergleichen liebte man nicht in Friedenszeiten, wo es hingehörte und unschädlich war; jetzt betreibt man es mit Leidenschaft, wo es nicht hingehört und in seinen Folgen gar nicht zu berechnen ist. Im Frieden wäre es sehr wünschenswert, daß die Regierung zuzeiten eine gewisse anständige und ehrliche Demagogie treibt; im Kriege können wir nur eine einzige Regung des Volkswillens gebrauchen, das Bedürfnis, die Feinde niederzuzwingen.
Hier erhebt sich nun in verzweifelter Frage der Einwand: ja, wie lange sollen wir denn noch warten? Wenn der Feind geschlagen ist, ist es zu spät, weil der Friede dann sogleich geschlossen werden muß! Es muß zugegeben werden, daß vieles geschehen und von amtlicher Seite, auf amtliche Veranlassung und unter amtlicher Vermittlung geäußert worden ist, was dieser Sorge Nahrung gibt. Aber es trifft trotzdem nicht zu, daß das Abwarten einer günstigeren Lage zur Erörterung der Kriegsziele ein zu spätes Eintreten in diese Erörterung bedeuten würde. Die Sorge, daß uns mitten darin schon der Abschluß des Friedens überraschen würde, erscheint wenig begründet. Dazu liegen die Dinge viel zu kompliziert. Deshalb sollten wir ruhig auf den Augenblick warten, wo sich unsere Lage wenigstens vereinfacht.
Wie das zu verstehen ist, bedarf einer besonderen Erläuterung. In der Erinnerung an frühere Kriege denken wir gewöhnlich daran, daß die Niederwerfung des einzelnen Gegners meist in der Erfüllung gewisser Forderungen ihren Ausdruck findet, Forderungen, die im Volksbewußtsein schon während des Krieges bestimmte Gestalt gewonnen haben. Schon nach den ersten Siegen 1870 stand es fest, daß wir uns Elsaß und Lothringen zurückholen wollten. Auch in den Koalitionskriegen vergangener Zeiten handelte es sich bei den beteiligten Mächten meist um Sonderwünsche, die wohl in ein Bündel zusammengebunden, aber auch wieder voneinander gelöst werden konnten. Wir stehen in diesem Kriege, der uns von einer Welt von Feinden aufgedrungen worden ist, anders da. Wir haben keine im allgemeinen Volksbewußtsein haftenden Wünsche, die uns durch den Krieg von den besiegten Gegnern erfüllt