Volkswille und Kriegführung
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politischen Zielen durch den Krieg erreichen wollen. So zu verfahren, wird uns von sehr gewichtiger Seite geraten. Vor allem meint man, so könne Einigkeit und Klarheit in den Kriegszielen rechtzeitig hergestellt werden, so daß man im Augenblick des erfochtenen Sieges bereit sei.
Wirklich? Wer das glaubt, hat augenscheinlich sehr merkwürdige Begriffe von der Art der Gegensätze, die bei einem solchen Streit um die Kriegsziele zutage treten würden. Es ist kaum daran zu zweifeln, daß sich der ganze Streit auf dem Boden der Theorie abspielen würde. Alles, was unsere guten, lieben Landsleute an Ergebnissen der gelehrten Geschichts- und Rassenforschung, an sprachwissenschaftlichen Liebhabereien, an Völkerbeglückungsideen, an sozialen Wohlfahrtstheorien, an konfessionellen Interessen, an philosophischen Prinzipien, an Weltanschauungen und — vergessen wir nicht, hinzuzufügen — an falsch angewendeten und aus dem Zusammenhang gerissenen Bismarckzitaten auf Lager haben, würde dabei von beiden Seiten ins Feld geführt werden. Wir würden uns bald so gründlich auseinandergeeinigt haben, daß ein deutliches Erkennen des Volkswillens schwieriger denn je sein würde. O neinl entgegnen die Vertreter des hier gekennzeichneten Vorschlages, es würde sich dabei gerade zeigen, daß der Verfechter einer schwächlichen, halben, zum Einlenken und Verzichten bereiten Politik keinen Boden im deutschen Volke hat, daß die Mehrheit vielmehr hinter einer Regierung steht, die entschlossen zu fordern weiß. Es ist unser Wunsch, daß es so sein möchte; daß es so ist, dafür fehlt der Beweis. Wenn erst die Erörterungen über diese Fragen hin und her fluten, dann entstehen in den des Denkens weniger gewohnten Gehirnen allerlei Nebenvorstellungen sehr merkwürdiger und jeder Berechnung unzugänglicher Art, sodaß man sehr leicht dieselbe Erfahrung machen könnte, die Friedrich den Großen veranlaßte, die Abhaltung eines Kriegsrates grundsätzlich zu widerraten, dieweil dabei immer die „timidere" Partei die Oberhand zu behalten pflege.
Daher ist es auch fraglich, ob der Eindruck erreicht würde, den sich die Freunde der freien Erörterung der Kriegsziele versprechen, wenn sie sagen, das Ausland müsse in den Glauben versetzt werden, daß das deutsche Volk noch viel mehr fordere als seine Regierung. Das ist an sich ein guter und richtiger Grundsatz — für Friedenszeitcn! Ich gehöre zu denen, die es immer tief bedauert haben, daß unsere nachbismärckische Regierung — zu Bismarcks Zeiten hatte sie es aus anderen Gründen nicht nötig — von diesem Mittel aus Korrektheit und Amtsstolz nicht häufiger Gebrauch gemacht hat. Was für eine dankbare Rolle spielt eine Regierung, die einer fremden gegenüber auf eine ungestüm drängende Volksmeinung hinter sich weisen kann, so daß, wenn sie sich schließlich mit weniger begnügt, sie im Ausland als maßvoll und entgegenkommend, im Inlands als stark und selbständig erscheint! Diese Methode hat aber da, wo sie angebracht war, bei uns immer sehr wenig Anklang gefunden, weil sie der Art unseres straffen, selbstbewußten Beamtenstaates widerstrebt. Als es z. B. nützlich gewesen wäre, in: Ausland recht eindringlich