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Frankreich und die Gründung des Norddeutschen Bundes
und ein revolutionärer Akt war. Noch nachträglich im August hätte er unter dem Eindruck von Vorstellungen des russischen Zaren am liebsten jedem der vertriebenen Fürsten ein kleines Stück ihrer Länder zurückgegeben. Wahrscheinlich hätte Bismarck die Vollannexionen nicht durchsetzen können, wenn auch bei Napoleon legitimistische Gesichtspunkte irgend etwas gegolten hätten. So aber kam es dem Sohne der Revolution nur auf die Machtverhältnisse an, und da er einmal sich entschlossen hatte, die Aufrichtung der preußischen Vorherrschaft in Norddeutschland zuzugeben, war es ihm ziemlich gleichgültig, in welchem Umfange Preußen innerhalb dieses Gebietes annektierte.
Ihm kam es auf die Selbständigkeit Süddeutschlands und auf den Bestand der Zusicherung des Reformprojekts vom 10. Juni, daß Preußen an der Mainlinie Halt machen werde, an. Gerade in diesem entscheidenden Punkte wurde er aber zu guter Letzt noch von Bismarck diplomatisch überwunden, und zwar durch die Schuld eigner Fehler. Gedrängt von den preußenfeindlichen Elementen um Drouyn de Lhuys ließ er sich in einem durch schwere Erkrankung veranlaßten Moment der Schwäche zu der Inkonsequenz verleiten, nachträglich doch noch mit einer Kompensationsfordernug aufzutreten. Und zwar forderte Frankreich am 5. August ganz Rheinbayern und Rheinhessen, nach Ablehnung dieser ungeheuerlichen Zumutung aber am 20. August wenigstens noch Landau und das Saarkohlengebiet. Bismarck benutzte sofort die Gelegenheit, sich seinerseits von dem Programm vom 10. Juni, das Napoleon ohne Kompensation zugestanden, entbunden zu fühlen, und in die Friedensbedingungen für Württemberg, Baden und Bayern den Abschluß jener Schutz- und Trutzbündnisse mit dem Norddeutschen Bund aufzunehmen, die das ganze außer ° österreichische Deutschland gegen Frankreich militärisch einigten. Als Entgelt erwirkte er bei seineni König, daß die drei süddeutschen Staaten ohne jede territoriale Verkürzung davonkamen. Schon vier Jahre später mußte Napoleon seine Inkonsequenz mit dem Verlust seines Thrones bezahlen. Denn er holte sich von dem unverhofft geeinigten Deutschland die schweren Niederlagen von 1370. Wahrscheinlich hätte sich der Anschluß der Südstaaten an den Norddeutschen Bund im Kriege gegen Frankreich doch nicht so glatt vollzogen, wenn nicht die Fehler der französischen Politik Bismarck zu günstiger Stunde die Gelegenheit gegeben hätten, sich dieses Anschlusses zu versichern.
So bedeutet in der Tat der Präliminarfriede von Nikolsburg mit seinen unmittelbaren Folgen die endgültige Zerstörung jener innerdeutschen Position Frankreichs, die spätestens seit dem dreißigjährigen Krieg eine Quelle der europäischen Macht dieses Staates war, und die der Wiener Kongreß völkerrechtlich bestätigt hatte. Es wäre in einer Zeit, wo wir in engem Bunde mit Österreich-Ungarn stehen und Blut um Blut uns jeden Tag fester aneinander kettet, eine psychologische und moralische Unmöglichkeit, das halbhundertjährige Gedächtnis des preußischen Sieges über Osterreich zu feiern. Was geschichtlich notwendig war, ehren wir mit Schweigen und wenden unsern Blick der ver-