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Gustav Freytag bei den Grenzbothen : zu seinem hundertsten Geburstag am 13. Juli 1916
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Gustav Freytag bei den Grenzboten

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auch der Abschied vom besten Inhalt seines Lebens. Sein Verdienst war es doch vor allem, wenn er bescheiden quittieren durfte, daß selbständige Über­zeugung und fester Ausdruck derselben die Zeitschrift bald zu einer der geachtetsten machten unddaß dieGrenzboten" einen wesentlichen Einfluß auf die Bildung der jungen Generation ausgeübt und allmählich den Ruhm erworben haben, viel von deutscher Einsicht und deutschem Gewissen zutage zu bringen".

Freytag hat den Umkreis seiner politischen Fähigkeiten am besten ge­kannt, die mannigfachen Irrtümer, die ihm unterliefen, nicht verschleiert.Manch­mal hat mans getroffen, manchmal, und wohl öfter, nicht. Im ganzen macht solche Durchsicht (sc. seiner Aufsätze) bescheiden, es ist doch vieles anders gekommen, als man sichs seiner Zeit gedacht hat. Wo man recht heiß begehrt hat, und wo man das Ärgste befürchtet hat. ist man durch den Erfolg wider­legt worden. Und doch hat man seiner Zeit so ehrlich und klug, als man vermochte, um das Künftige gesorgt." Man kann Freytag den Vorwurf starker doktrinärer Befangenheit nicht ersparen. Wohl war er nicht Doktrinär von der Art, daß er sich von den naturrechtlichen Phantomen hätte beirren lassen. Vielmehr deshalb, weil seine politischen Überzeugungen sehr erheblich von wissen­schaftlichen Momenten bestimmt wurden, die ihnen erst im vollen Umfang den Charakter einseitiger politischer Doktrinen verliehen. Die Doppelstellung als Dichter und Gelehrter einerseits, Politiker andererseits wurde ihm verhängnisvoller als den meisten anderen Politikern der alten Professoraten Schule. Akademische Einflüsse und die gemütvolle Schwerfälligkeit einer spezifisch liberalen Welt- anschauung erschwerten ihm das Verständnis Bismarckscher Macht- und Realpolitik.

Doch pflegen wir Wert und Bedeutung eines Mannes nicht so sehr nach seinen Werken an sich zu messen, als nach Geist und Charakter, der daraus zu uns spricht. Freytags publizistische Tätigkeit zeichnet sich weniger durch die Origi- nalität und Schärfe der darin vertretenen Anschauungen aus als durch den tiefen sittlichen Kern der dahinter stehenden Persönlichkeit.Sie sind gewöhnt, in jeden Stoff, den Ihre Feder berührt, ein Stück Ihres Herzens zu legen", konnte Treitschke von ihm sagen. Es ist das Ethos eines durch und durch deutschen Mannes, der wie kein zweiter seine Deutschen kannte und gerade hier, in der Publizistik, am warmherzigsten ihrem nationalen und liberalen Idealismus Ausdruck zu geben verstand. Dergestalt, als derbescheidene Hausfreund seines Volkes" wird Gustav Freytag, der Redakteur derGrenzboten", dauernd in der Geschichte des deutschen Idealismus und untrennbar vom tiefsten Gehalt unseres Deutschtums fortleben.Denn tüchtiges Leben endet auf Erden nicht mit dem Tode, es dauert in Gemüt und Tun der Freunde, wie in den Gedanken und der Arbeit des Volkes."