Contribution 
Deutschland und die Koalition : ein Vortrag gehalten zu Warschau
Page
18
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image
 

18

Deutschland und die Koalition

Gleichgewichts konnten wir wieder in Europa ans Licht kommen. Auf dieser Weltkarte, die der Wiener Kongreß uns als Erbschaft hinterließ, war für uns kein Platz und hätte sich niemals Platz gefunden. Diese für uns hundertfach unglückliche Erbschaft überzog uns mit Schimmel, wie der Friedhofsrasen einen vergessenen Hügel überwuchert. Deutschland, das mit seinem eisernen Pfluge ganz Europa kreuz und quer durchpflügte, hat auch die Geschichte eines ganzen Jahrhunderts gründlich umgepflügt und indem es sein Gewebe zerriß, sprengte es auch die Netze, die uns erwürgen sollten. Das darf nicht vergessen werden angesichts der Größe der Ereignisse, hinter denen alles zurücktreten muß, was nicht Maß und Gewicht mindestens eines Jahrhunderts hat.

Obwohl unser Los zum Teil das Werk unserer eigenen Hände sein wird, wird wohl unsere Generation die Wohltaten dieses Krieges selbst bei seinem für uns günstigsten Ausgang in ganzer Fülle nicht mehr genießen. Zu viel Trauer liegt über die Felder ausgebreitet, zu viel Leid ist in unsere Seelen eingedrungen, zu viele Wunden werden zu heilen sein. Aber die Trauer über das jetzige Geschick darf nicht die Aussichten eines besseren Loses verschließen, das wir unseren Kindern und Enkeln erkämpfen könnten und zu erkämpfen verpflichtet sind. Unser Geschick ist hart. Aber wer über die Schlagbäume Warschaus und über die Grenzen des Landes hinaussah, weiß, daß sich fast ganz Europa in einem Chaos von Blut, Tränen und Mühsal badet. Ich sah in Deutsch­land einen Greis, dessen vier Söhne im Kriege auf verschiedenen Fronten ge­fallen sind, und der fünfte der letzte ging aus der fchon leeren Hütte in den Krieg als Kriegsfreiwilliger. Ich sah den Alten täglich bei Tages­anbruch, wie er an den Zaun des Lagers gelehnt schweigend in den fernen Abgrund des Ostens sah. Ein wie schreckliches Echo muß ihm von den öden Wänden des väterlichen Hauses entgegengeklungen sein, wie muß ihm die steigende Öde entgegengeklafft haben, wenn die schwarze kalte Nacht für ihn eine Trösterin war! Und doch habe ich aus seinem Muude keine Klage, keinen Vorwurf gehört. Sein Unglück blieb ein Geheimnis zwischen ihm und dem Schweigen der Nacht. Wer die Furchtbarkeit des Krieges verstehen will, möge das Leiden eines einzigen zerschmetterten Opfers durchdenken. Aber die Opfer des Krieges erreichen Ziffern, bei denen das Blut erstarrt. Unlängst eröffnete man in Berlin ein Heim für elftausend Schwerverletzte. Welch eine gestählte Seele muß die Nation haben, die den Anblick solcher Leiden erträgt, und die nach den Worten seines Dichters Gerhart Hauptmann dieses unermeßliche Opfer segnet, wenn es für das Vaterland erforderlich ist.

Wir, die wir in diesem Kriege als Nation am wenigsten zu verlieren hatten und dafür alles zu gewinnen haben, müssen bei den Beschwerden der Alltäglichkeit noch fester und andauernder als andere Völker die Zähne zusammen­beißen. Mit der Achtung für die fremden Opfer bestätigen wir die eigene Opferbereitschaft, die uns schnell vorübergehende Unannehmlichkeiten zu vergessen gebietet angesichts der Beseitigung der einzigen Unbill, die für uns das größte