Maßgebliches und Unmaßgebliches
Politik
Dr.Adolf Grabowsky: Diepolnische Frage.
Berlin, Carl Heymcmns Verlag, 1916.
„Die vorliegende Schrift", lesen Wir in der Einführung, „ist aus eigener Anschauung Russisch-Polens erwachsen. Eine sehr lehrreiche militärische Stellung ermöglichte es dem Verfasser, viel im Lande herumzukommen, und gab ihm auch die Muße zu eingehender Betrachtung." So sind ihm denn alle dieMenschen, Verhältnisse und Zustände, aus denen die Probleme erwachsen, bekannt und klar geworden, und „sind alle Probleme scharf erfaßt, so steuern sie selbst ihrer Antwort zu." Nach einer lebendigen und anschaulichen Beschreibung von Land und Leuten, der natürlichen Hilfsquellen, der wirtschaftlichen und sozialen Zustände werden die drei Gruppen der Judenschaft-Orthodoxe, Assimilanten und Assimilierte charakterisiert und wird der polnische Volkscharakter analysiert. Den guten Eigenschaften der Polen wird Grabowsky vollkommen gerecht; als die Wurzel ihrer Schwächen findet er das „alles oder nichts" nicht im Sinne Brands, sondern von Klärchens „himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt"; das neurasthenische Schwanken zwischen Extremen, das labile Gleichgewicht der Seele, die Unfähigkeit, einen festen Kurs innezuhalten, und die in Weichlichkeit ausartende Weichheit, die zur Folge hat, daß sich der Pole dem Russen leichter befreundet, als dem (nur äußerlich) harten, strengen Deutschen, dessen Verwaltung aber gerade das richtige Sanatorium für Nervenschwache sei. Das verwickelte polnische Parteitreiben wird durch die Zurückführung der Parteien auf ihre ständische Naturbasis entwirrt. Im Streben nach der Wiederherstellung des Polenstaates sind die Parteien eins. Daß sie im Anfange des Krieges auch in der
Parteinahme für Nußland einig schienen, hat einen allgemeinen Psychologischen Grund und zwei besondere Ursachen. Jener entstammt der Weiträumigkeit des russischen Landes und der Weit- und Leichtherzigkeit des russischen Volkes, welche die Aussicht auf ein ungebundenes Leben und auf unbegrenzte Politische, soziale und wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen schien und entsprechende Hoffnungen erweckte. Die erste der beiden besonderen Ursachen ist der Umstand, daß Rußland als das natürliche Hinterland für die polnische Produktion und als solches den herrschenden Ständen: den Großgrundbesitzern, Großindustriellen und Großkaufleuten unentbehrlich erscheint; die andere Ursache ist die Furcht vor Preußen, die durch die preußische Polenpolitik erregt und von der russischen Regierung natürlich klug ausgenützt worden ist. Grabowsky nimmt Bismarck gegen den Verdacht in Schutz, er habe diese Politik au» Gefälligkeit gegen Nußland eingeleitet. Der Grundgedanke der Ostmarkenpolitik: Sicherung der Grenze durch Vermehrung einer zuverlässigen Bevölkerung, sei gesund, die Ausführung aber verfehlt gewesen, weil man die Polenfrage als eine rein innerpolitische behandelt und die Methode den kleinlichen, engherzigen altpreußischen Verwaltungsgrundsätzen entnommen habe; fortan müsse unsere Politik von dem Leitgedanken bestimmt werden, daß ein von uns entwickeltes Polen ein Bollwerk gegen Rußland sein wird.
Aus dem dargelegten Tatbestande werden Regeln für die Behandlung der polnischen Juden abgeleitet: diese dürfen weder unterschiedslos ins Reich eingelassen, noch den Polen, die seit dem Heranwachsen ihres Mittelstandes fanatische Antisemiten geworden sind, auf Gnade und Ungnade ausgeliefert werden. (Grabowskys Auffassung der Judenfrage steht