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Vom Recht der Zukunft
einkommens und damit der gesamten Kultur in Kauf nehmen wollen. Jetzt wissen wir, dasz jede Schwächung unserer materiellen und geistigen Kräfte das Dasein unseres Volkes in Frage stellen würde.
Die Befürchtung, daß die sozialistische Gesellschaftsordnung vielleicht eine gerechtere Verteilung der nationalen Arbeiterfrage, aber zugleich dessen Schmälerung herbeiführen würde, hat in Verbindung mit anderen Bedenken veranlaßt, Mittelwege zwischen der dem Wirtschaftsleben durch die Privatrechtsordnung gewiesenen Bahn und der Klasse des Sozialismus zu suchen und zu versuchen. So verschiedenartig diese Projekte und Experimente vom Revisionismus über den Staats- oder Kathedersozialismus bis zur Bodenreform sind, stimmen sie doch in der Tendenz überein, unter Erhaltung der Privatrechtsordnung deren Wirkungsgebiet zugunsten des öffentlichen Rechts einzuschränken.
Ob von Kompromißsystemen die Überwindung des Klassengegensatzes zu erwarten ist, kann jetzt nicht kritisch beleuchtet werden. Es wird nur gestattet sein, zur Anregung des Zweifels folgende Fragen zu stellen. Wenn der Klassengegensatz aus der Privatrechtsordnung erwächst, kann dann ,schon eine teilweise Verdrängung des Privatrechts den Klassenkampf ganz beseitigen? Wenn eine sozialistische Rechtsordnung eine Verminderung der Arbeitsenergie und damit des Arbeitsertrages befürchten läßt, wird nicht schon eine Mitherrschaft des Sozialismus eine Verarmung der Volkswirtschaft herbeiführen? Wenn ein Kompromiß vom Privatrecht und Sozialismus die heilsamen wie die kulturschädlichen Wirkungen beider Rechtssysteme abgeschwächt vereinigt, ist dann zu hoffen, daß man sich ohne schwere Kämpfe darüber einigen wird, in welchen Dosen Privatrecht und Sozialrecht miteinander zu mischen sind?
Andere Mittel zur Beseitigung des Klassengesetzes, als die vollständige oder teilweise Verdrängung des Privatrechts, sind der Gesetzgebung nicht empfohlen. So scheint, wer ihre Tauglichkeit bezweifelt, bekennen zu müssen: nach dem Kampf der Völker muß der Kampf der Klassen und ihrer Parteien von neuem entbrennen.
Und doch gibt es einen anderen Weg.
Die Mittel zur Sozialreform sind nicht in der Verdrängung, sondern in der Fortbildung des Privatrechts zu suchen; nicht gegen das Privatrecht, sondern mit dem Privatrecht läßt sich der Gegensatz der Klassen überwinden.
Ein neuer Gedanke pflegt dem Mißtrauen zu begegnen: wäre er wahr und brauchbar, so wäre er gewiß schon lange gedacht. So wird es auch dem Gedanken gehen, es könne statt durch den Abbruch des Privatrechts durch dessen Umbau die kapitalistische Gesellschaftsordnung derart verändert werden, daß der Gegensatz der Klassen verschwindet.
Allein es ist wohl erklärlich, daß an diese Möglichkeit nicht gedacht worden ist.
Das Volksleben, insbesondere das Wirtschaftsleben ist oft mit einem Strom verglichen worden. Ist es ein Strom, so wird das Bett dieses Stroms durch Sittlichkeit, Sitte und Recht gebildet.