Beitrag 
Flämen und Wallonen in Belgien
Seite
557
Einzelbild herunterladen
 

Flamen und Wallonen in Belgien

557

lex Coremans in den flämischen Distrikten das Flämische als Gerichtssprache eingeführt mit dem Vorbehalt natürlich, daß der Angeklagte den Gebrauch des Flämischen abweisen kann. Einige Jahre vorher waren zwei Flämen unschuldig zum Tode verurteilt und enthauptet; niemand bei Gericht hatte sie verstanden; alle Richter, Verteidiger und Gendarmen konnten nur französisch! Ähnliche Gesetze für die höheren Instanzen und für andere Behörden folgten in den Jahren 1878, 1890 und 1891, und 1899 wurde die Militärgerichtsbarkeit, wenn auch ungenügend, reformiert. Zur Ehre der Wallonen sei gesagt, daß einige von ihnen für diese Gesetze eintraten, während die Fransquillons, die französisch sein wollendenGebildeten" flämischer Abstammung, dagegen waren. 1898 wurde das Flämische als offizielle Staatssprache neben dem Französischen anerkannt. Das sind, obwohl es sich zum großen Teil um selbstverständliche Rechte handelt, die jede andere Kulturnation längst besitzt, doch große Errungenschaften im Vergleich zu dem. was vorher war, und es ist erklärlich, daß darob das nationale Bewußtsein allmählich erwachte. Die niederen und mittleren Stände, besonders die Elemente, die in die Höhe streben, beginnen nun auch die übrigen Rechte zu verlangen, die jeder Nation zukommen: sie wollen von allem Wissenswerten in der Muttersprache unterrichtet werden und nicht auf dem Umweg über das Französische, und zum Emporsteigen in höhere Gesellschaftsschichten kommen können, ohne zum Besuch französischer Schulen gezwungen zu sein. Selbst in den Kreisen der Gebildeten begegnet man schon der Ansicht, daß es für einen Flämen lächerlich ist, sich als Fransquillon zu gebärden, und daß man durchaus nicht zum Abschaum des Volkes gehört, wenn man die flämische Sprache seiner Eltern spricht. Doch wird dies Vorurteil nicht eher fallen, als bis die Unterrichtssprache in allen Schulen der flämischen Gebiete, auch in den höheren, flämisch ist.

Bei solcher Erstarkung beider Nationen wird die eine ebenso wenig nach­geben wollen wie die andere. Eine Milderung des Gegensatzes wird erst dann eintreten, wenn die beiden letzten Hauptforderungen der Flämen erfüllt sind: seit 1843 verlangen sie, die mehr als die Hälfte aller Belgier ausmachen, daß eine von den vier Hochschulen des Landes ihrer Sprache eingeräumt werde, und zwar Gent ein Platz, auf den sie ethnographisch wie historisch alles Anrecht haben. Und jdie andere, nicht weniger berechtigte Forderung bezieht sich auf die Zulassung der flämischen Sprache in der Armee, die zu drei Fünfteln aus Flämen besteht.

Ehe sie das aber durchgesetzt haben, können die anderen Gegensätze im belgischen Staate sich so verschärfen, daß die Existenz dieser konstitutionellen Monarchie ernstlich gefährdet wird.